„Wir führen seit über einem Jahr kein normales Leben“

Chi­le hat­te bei der Coro­na-Pan­de­mie welt­weit mit die strengs­ten Aus­gangs­be­stim­mun­gen. So durf­ten vie­le über Mona­te ihre Woh­nung nur zum Ein­kau­fen für kur­ze Zeit ver­las­sen. Wir spra­chen mit den Lie­ben­zel­ler Mis­sio­na­ren Andrés und Kat­rin Ver­ga­ra, wie sie die­se Zeit erlebt haben.

Wann habt ihr die ers­ten Aus­wir­kun­gen der Coro­na-Pan­de­mie gespürt?
Bei uns hat alles eigent­lich schon im ver­gan­ge­nen Okto­ber mit den gewalt­tä­ti­gen Unru­hen begon­nen, bei denen Demons­tran­ten sich vor allem gegen sozia­le Ungleich­hei­ten wand­ten. Dabei kamen 26 Men­schen ums Leben, rund 5.000 wur­den ver­letzt, Zehn­tau­sen­de wur­den ver­haf­tet. Wir waren schon hier stark ein­ge­schränkt und Chi­le hat unter der Situa­ti­on sehr gelit­ten. Als sich in den hie­si­gen Som­mer­mo­na­ten Janu­ar und Febru­ar die Lage ein wenig nor­ma­li­sier­te, kam es im März zum Aus­bruch der Coro­na-Pan­de­mie. Wir füh­ren also seit über einem Jahr kein nor­ma­les Leben.

Wie wur­de euer Leben eingeschränkt?
Mit­te März kam die Aus­gangs­sper­re, der Schul­un­ter­richt fiel zunächst für zwei Wochen aus. Da haben wir alle zuerst gedacht, das gin­ge bis Ende März bald vor­über. Denn es gab bei uns im Nor­den des Lan­des nur zwei, drei Coro­na-Fäl­le, die Haupt­stadt Sant­ia­go de Chi­le, wo wir woh­nen, woll­te aber mit sei­nen sie­ben Mil­lio­nen Ein­woh­nern zunächst vor­sorg­lich reagie­ren. Doch dann kam schnell die Aus­gangs­sper­re für ver­schie­de­ne Stadtteile.
Pro Haus­halt hat­ten wir eine Pass­num­mer, mit der man ein­mal in der Woche für drei Stun­den Ein­kau­fen gehen konn­te. Dabei benö­tig­te man aber allei­ne zwei Stun­den für das Anste­hen. Wenn man drin­gend ins Kran­ken­haus muss­te, bekam man eine Son­der­er­laub­nis. Wer Glück hat­te, konn­te von zu Hau­se aus arbei­ten. Man war regel­recht ein­ge­sperrt, man durf­te nicht ein­mal in Parks gehen. Wir haben Gott sei Dank einen Hund, und des­halb durf­ten wir zwei­mal die Woche für eine hal­be Stun­de die Woh­nung zum Spa­zier­ge­hen ver­las­sen. Da haben wir dann unse­re vier und sechs Jah­re alten Jungs mit­ge­nom­men. Aber auch das wur­de immer mehr ein­ge­schränkt und sehr strikt kon­trol­liert. Das alles ging bis Ende August so. Mit der Zeit konn­te man sich in ein­zel­nen Stadt­tei­len abge­stuft immer frei­er von Mon­tag bis Frei­tag unter stren­gen Auf­la­gen bewe­gen. Man­che Loka­le und Restau­rants konn­ten inzwi­schen wie­der öffnen.

Und wie haben die Chi­le­nen auf die Aus­gangs­be­schrän­kun­gen reagiert?
Vie­len haben auf Home­of­fice umge­stellt. Wo das nicht mög­lich war, haben die Men­schen ihre Arbeit ver­lo­ren. Vie­le beka­men außer­dem weni­ger Gehalt, weil sie kaum arbei­ten konnten.

Und wie sah eure Arbeit aus?
Die Schu­lungs­ar­beit haben wir schnell digi­tal auf Video­kon­fe­ren­zen umge­stellt. Der Unter­richt konn­te so zwei­mal die Woche statt­fin­den. Fünf Wochen lang haben wir wöchent­lich drei­stün­di­ge Schu­lun­gen für Mis­si­ons­ar­beit ange­bo­ten. Die digi­ta­le Infra­struk­tur hier in Chi­le hat das mög­lich gemacht, eben­so der Schul­un­ter­richt. Wir ent­schie­den uns für Video­kon­fe­ren­zen, da die Chi­le­nen sehr bezie­hungs­ori­en­tiert sind und man sich über die­se Platt­form auch aus­tau­schen und alle Teil­neh­mer sehen kann.

Wie hat sich Coro­na auf die Psy­che der Chi­le­nen ausgewirkt?
Unter den Beschrän­kun­gen haben vor allem die gelit­ten, die allei­ne leben. Die Jugend­li­chen kamen damit bes­ser zurecht; sie haben sich mit ande­ren zusam­men getan. Laut einer aktu­el­len Sta­tis­tik haben 60 Pro­zent der Chi­le­nen durch Coro­na psy­chisch gelit­ten, sie füh­len sich allei­ne und die Depres­si­ons­er­kran­kun­gen sind deut­lich gestie­gen. Vie­le sind finan­zi­ell stark unter Druck gekom­men. Vie­le konn­ten sich aber zehn Pro­zent ihrer Ren­te aus­zah­len las­sen, das ent­las­te­te ein wenig deren finan­zi­el­le Situa­ti­on. Aber es gab ver­mehrt Über­fäl­le sogar auch auf arme Leu­te, die Brot ein­kau­fen gingen.

Wie ging es euch als Familie?
In Chi­le sind die Kin­der den gan­zen Tag in der Schu­le. Vie­le haben es am Anfang genos­sen, mit der Fami­lie zusam­men sein zu kön­nen. Das wur­de dann aber vie­len schnell zu viel. Denn für die meis­ten Fami­li­en war es eine rie­si­ge Her­aus­for­de­rung, nun die Kin­der stän­dig zu Hau­se zu haben und sie beschäf­ti­gen zu müs­sen. Hier sind vie­le an ihre Gren­zen gesto­ßen und die häus­li­che Gewalt hat schnell dras­tisch zuge­nom­men. Wir haben als Fami­lie ganz stark gemerkt, wie vie­le für uns gebe­ten haben. Wir haben auch schnell eine Rou­ti­ne ent­wi­ckelt und einen struk­tu­rier­ten Tages­ab­lauf umge­setzt. Wir sind eben­so dank­bar, dass wir wei­ter­hin unser Gehalt beka­men, wäh­rend ande­re aus der Gemein­de Schwie­rig­kei­ten hat­ten, ihre Mie­te bezah­len zu kön­nen oder Schul­den machen muss­ten. Andrés hat beim Ein­kau­fen immer wie­der ver­sucht, für unse­re Kin­der High­lights wie Nutel­la mit­zu­brin­gen, um die­se Zeit ein wenig für sie ver­träg­li­cher zu machen.

Und wie geht es euch heute?
Wir sind froh, dass bei uns nun der Früh­ling kommt und wir im klei­nen Gar­ten die Son­ne genie­ßen kön­nen. Aber für die Kin­der war es eine gro­ße Umstel­lung, dass sie wie­der ins Freie gehen konn­ten. Sie waren so lan­ge hier drin­nen und immer wie­der muss­ten wir ihnen sagen, dass sie nicht raus dür­fen. Sie hat­ten am Anfang regel­recht Angst davor, nun wie­der ins Freie zu gehen, weil es für sie nach so lan­ger Zeit unge­wohnt war und sie die Unru­hen im ver­gan­ge­nen Jahr mit­be­ka­men. Dort hat­ten sie das Ver­trau­en in die Poli­zei und das Mili­tär ver­lo­ren. Immer wie­der frag­ten sie ban­ge nach, ob wir auch alle Aus­weis­pa­pie­re dabeihaben.

Andrés und Kat­rin Ver­ga­ra leben mit ihren bei­den Kin­dern seit Juli 2017 in Chi­le. Sie berei­ten jun­ge Süd­ame­ri­ka­ner auf den Mis­si­ons­dienst vor. Dazu unter­rich­tet Andrés an Bibel­schu­len, und er lei­tet das ein­jäh­ri­ge Aus­bil­dungs­pro­gramm von „Pro­Vi­sión“ in Sant­ia­go de Chi­le. Vor sei­nem B. A.-Theologiestudium in Bad Lie­ben­zell arbei­te­te Andrés in sei­ner chi­le­ni­schen Hei­mat als Buch­hal­ter. Kat­rin kommt aus Nagold und ist Bankfachwirtin.

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