„Gott hat tausend Wege“
Jael und Herrmann und Stamm arbeiten seit 2022 als Missionare in Japan. Nach ihren zwei Söhnen kam im Sommer ihr Sohn Nathan mit Trisomie 21 zur Welt.
Herrmann, wie geht es Nathan zurzeit?
Im Großen und Ganzen geht es ihm momentan gut. Nathan kam ja mit einem Herzfehler und einer angeborenen Darmfehlbildung zur Welt. Vor wenigen Wochen wurde er am Darm operiert und hat vorübergehend einen künstlichen Darmausgang bekommen. Das ist natürlich eine Einschränkung. Aber wir sind dankbar, dass die OP gut verlaufen ist.
Nathan ist grundsätzlich ein zufriedenes Kind, das ruhigste, das wir bisher hatten. Scherzhaft sagen wir oft, dass Nathan eigentlich der entspannteste von unseren drei Jungs ist. Zumindest ist Nathan das erste Baby, das schon mit drei Monaten durchschläft.
Benötigt er eine spezielle Therapie, die man auch in Japan bekommen könnte?
Wir gehen davon aus, dass die Therapie-Möglichkeiten in Japan ähnlich sind und es auch dort entsprechende Initiativen und Organisationen gibt, die Kinder mit Behinderungen fördern. Spannend wird sein, wie die Physiotherapie, die er jetzt bekommt, weitergeführt werden kann. Später wird er vermutlich auch Unterstützung bei der Sprachentwicklung und Ergotherapie benötigen. Das sind für uns natürlich Fragen, die uns beschäftigen. Wie können wir das alles abdecken? Das ist im Moment noch schwer absehbar und heute noch nicht planbar.
Wie wirkt sich diese Einschränkung, die euer Sohn jetzt hat, auf eure geplante weitere Arbeit in Japan aus?
Zunächst einmal hat sich unser Familienleben kaum verändert. Im Grunde ist Nathan ein Baby wie jedes andere. Was unser Familienleben aber schon stark beeinflusst und auch verändert hat, sind die vielen Krankenhausaufenthalte. Außerdem hat sich die Ausreise nach Japan durch die Behandlung seiner Darmerkrankung verzögert.
Was ist jetzt geplant?
Geplant ist, dass wir im April wieder ausreisen. Bis dahin soll der künstliche Darmausgang zurückverlegt werden und wir werden sehen, wie es Nathan dann gesundheitlich geht. Das ist der Horizont, den uns die Ärzte gesetzt haben. Wir hoffen, dass alles gut geht und nichts dazwischenkommt. Und ja, es kann auch sein, dass sich die Türen für unsere weitere Missionsarbeit in Japan ganz schließen. Aber wir wollen hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Wie habt ihr es geschafft, diesen besonderen Weg zu gehen? Inwiefern hat sich durch Nathans Behinderung euer Gottesbild verändert?
Ganz ehrlich: Die Diagnose war erst einmal ein richtiger Schock für uns. Man sieht erst einmal die ganze Zukunft an sich vorbeiziehen und denkt: Jetzt gibt es eigentlich nur noch ein Leben mit Einschränkungen, Mühe und Pflege. Aber das Besondere für uns war, dass wir entdecken konnten, dass das nicht so ist. Das sieht man auch bei vielen anderen Eltern, die Kinder mit diesen Einschränkungen haben. Wir glauben, es ist ein Irrglaube, dass man ein besseres Leben hat, wenn das Kind gesund ist.
Aber natürlich haben wir uns gefragt: Gott, warum wir? Gerade nach unserer Anfangsphase in Japan, die so gut gelaufen ist und wo wir dachten, jetzt gehen die Türen in unserem Einsatzgebiet auf. Alles hat gepasst: Vom Einleben in das Land, in die Kultur, in die Sprache bis hin zur finanziellen Unterstützung durch viele Missionsfreunde. Auf diese Frage haben wir keine Antwort. Wir wissen nicht, wie die künftige Missionsarbeit aussehen wird. Aber Gott wird die entsprechenden Türen öffnen und so gehen wir die nächsten Schritte.
Was mir im Moment sehr am Herzen liegt, ist das, was ich schon vor der Geburt von Nathan zum Thema im Reisedienst gemacht habe. Es ist die Stelle in Philipper 4,11–13, wo der Apostel Paulus sagt: „Ich vermag alles durch den, der mich stark macht.“ Er meint damit, dass er mit jeder Lebenssituation umgehen kann: mit dem größten Mangel, mit Armut aber auch mit Überfluss. Und dass es ihm dabei an nichts fehlt.
Das wünschen wir uns als Ehepaar, dass wir sagen können: Egal, was kommt, wir können durch Gottes Kraft mit allem umgehen und mit jeder Situation zurechtkommen; ohne dabei zu resignieren, zu verbittern oder sogar den Glauben zu verlieren. Durch Nathan können wir lernen, dass Gott mächtig ist, auch wenn unsere Kraft schwach ist.
Welche Reaktionen habt ihr von euren Missionsfreunden auf die Nachricht von Nathans Einschränkung bekommen?
Wir haben noch nie so viele Reaktionen auf unsere Rundbriefe erhalten. Viele waren sehr betroffen, dass unser Leben sich jetzt so verändert hat. Was uns aber wirklich positiv überrascht hat: Es gab keine Stimme, die gesagt hat: Oh, ihr Armen! Im Gegenteil: Immer wieder hörten wir: Schön, dass du da bist, Nathan! Sie haben ihn willkommen geheißen. Das fand ich schon ein schönes Zeichen!
Gerade durch diese schwere Zeit, die wir durchmachen, merken wir, dass Gott nicht fern ist. Das merken auch andere immer wieder und sind sehr berührt. Mit Jesus unterwegs zu sein, heißt nicht, dass man immer nur Erfolg hat. Es gibt auch ein geistliches Erfolgsdenken: Du bist immer erfolgreich in deinem Dienst, es geht immer aufwärts. Aber Gott lässt auch Rückschritte zu und dass sich Türen schließen – ohne dass man versagt hat. Einfach durch Umstände, die wir gerade erleben und die man überhaupt nicht beeinflussen kann. Und da bekomme ich immer mehr die Freiheit zu sagen: Und das alles ist jetzt Gottes Sache. Jesus braucht uns als Familie in Japan nicht, auch nicht die Liebenzeller Mission. Gott ist völlig frei und souverän, wie er sein Reich baut. Aber das Schöne ist: Er will uns daran beteiligen. Es liegt in seiner Hand und er ist frei, seine Arbeiter in eine neue Aufgabe zu rufen. Das lehrt Demut. Die Arbeit hängt nicht von mir ab. Das Reich Gottes bricht dadurch nicht zusammen. Und Gott hat tausend Wege, es anders weiterzuführen. Er ist gar nicht auf mich angewiesen, er braucht mich nicht. Aber er will mich.