„120 Jahre gelebte Nächstenliebe und Verkündigung des Evangeliums“
BAD LIEBENZELL. „120 Jahre Liebenzeller Mission – das ist 120 Jahre gelebte Nächstenliebe, Verkündigung des Evangeliums und Hilfe für Arme“. Das sagte der Sozialdezernent des Landkreises Calw, Norbert Weiser, vor 600 Gästen bei der Jubiläumsfeier anlässlich der Gründung des Werkes am 13. November 1899. Er dankte dabei den Mitarbeitern auch für den Einsatz in der Flüchtlingshilfe durch die „Hoffnungshäuser“ in Bad Liebenzell.
In seinem Vortrag „120 Jahre Liebenzeller Mission – Wurzeln und Flügel“ erinnerte Bernd Brandl, Professor für Kirchen- und Missionsgeschichte an der Internationalen Hochschule Liebenzell, an die geistlichen Wurzeln der Liebenzeller Mission. Die Gründung sei auf den Engländer James Hudson Taylor (1832–1905) zurückzuführen. Auf dessen Wunsch hin gründete Pfarrer Heinrich Coerper (1863–1936) in Hamburg 1899 einen deutschen Zweig der von Taylor ins Leben gerufenen China-Inland-Mission. 1902 siedelte man in den Schwarzwald über und nahm den Namen „Liebenzeller Mission“ an. Dabei sei die Liebenzeller Mission ein Kind der sogenannten Glaubensmissionsbewegung. Deren besonderes Finanzierungssystem – das Verlassen ganz auf Gottes Versorgung – machten diese auch zu einer Gebetsbewegung. Taylor wollte zudem, wie Coerper, alle Christen für die Mission mobilisieren, nicht nur ordinierte Theologen, sondern ebenso Frauen, unverheiratete und verheiratete. Sie galten als vollwertige Missionare und das sei damals absolut revolutionär gewesen. Als „regelrecht skandalös“ angesehen wurde, dass Coerper nicht nur die Länder in der Übersee, sondern auch Deutschland als Missionsland begriff und hier einen Gemeinschaftsverband gründete. Damit durchbrach er ein bisheriges Tabu der klassischen (kirchlichen) Missionen, so Brandl. Diese gingen noch von dem christlichen Abendland aus: „hier die christliche Welt, dort die Welt der Heiden“. Ebenso bemerkenswert fortschrittlich: Um Menschen in China mit der christlichen Botschaft zu erreichen, passten sich die Missionare auch äußerlich der Kultur des Landes an. Sie lebten einen Lebensstil, der kultursensibel war und das Fremde wertschätzte. Das zeigte sich auch darin, dass die Liebenzeller Missionare und Missionsschwestern sich innerlich und äußerlich den jeweiligen kulturellen Sitten und Gegebenheiten ihres Gastlandes anpassten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Liebenzeller Mission aus einer nur in Asien wirkenden Mission zu einer weltweit, in allen Kontinenten vertretenen internationalen Organisation heran. Heute ist die Liebenzeller Mission eine der größten evangelischen Missionsgesellschaften in Deutschland mit 230 Missionaren in 23 Ländern.
In der Abhängigkeit von Gott leben gibt Zukunft
Brandl ist zuversichtlich, dass die Liebenzeller Mission noch eine große Zukunft vor sich hat. Denn in der heutigen jungen Generation nehme er wie vor 120 Jahren eine große Sehnsucht wahr nach echter geistlicher (spiritueller) Erfahrung. Gesucht werde „eine ganzheitliche, Geist, Seele und Leib erfassende neue Wirkung des Geistes Gottes“. Diese habe „transformierende Auswirkungen“ auf alle Gemeinden, Gesellschaften und die Welt: „Ich bin fest davon überzeugt, dass uns diese grundsätzliche Abhängigkeit und das Stehen mit leeren Händen vor Gott davor bewahrt haben, unser Vertrauen auf falsche Sicherheiten zu setzen.“ Diese Abhängigkeit habe die Liebenzeller Mission bis heute lebendig erhalten: „Sie zwingt nämlich immer wieder ins Gebet und in das rückhaltlose Vertrauen in Gott, ohne Netz und doppelten Boden den Sprung des Glaubens zu wagen.“
Liebenzeller Mission eröffnet 24-Stunden-Gebetshaus
Brandl erinnerte ferner daran, dass in der Grundsteinlegung des Missionshauses 1906 der Satz festgehalten wurde: „Dies Haus soll ein Bethaus sein.“ Dabei sei schon immer auf dem Missionsberg viel gebeten worden, vor allem auch durch die Missionsschwestern: „Das ist eine Tradition, die zukunftsfähig ist. Sie muss neu gestärkt werden.“ Direktor Pfarrer Johannes Luithle wies darauf hin, dass man anlässlich des 120. Geburtstages des Werkes ein 24-Stunden-Bethaus im Missionshaus eröffnet habe und an die alten Wurzeln anknüpfen wolle. Dieser Gebetsraum wurde liebevoll eingerichtet und kann rund um die Uhr aufgesucht werden. Im Vorfeld der Feierlichkeiten beteten Mitarbeiter, Studierende und Missionsfreunde 120 Stunden in dem Raum für die Anliegen der Mission. Dabei erinnerte jede Gebetsstunde an Ereignisse aus einem der zurückliegenden 120 Jahre, die sowohl für die Mission als auch für die Welt bedeutsam waren.
Es ist ein Menschenrecht, von Jesus Christus zu hören
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Hans-Joachim Fuchtel, sagte in einem Video-Grußwort, dass die Gesellschaft Menschen brauche, die Gottes Wort weitergeben. Er habe größten Respekt für die Arbeit der Missionare. Der Bürgermeister von Bad Liebenzell, Dietmar Fischer, wie auch der evangelische Pfarrer Dieter Lohrmann dankten für das gute Miteinander. Das Werk bereichere die Kurstadt. Der Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell, Volker Gäckle, betonte, dass Missionsgesellschaften verstärkt begründen müssten, warum es ein Menschenrecht ist, von Jesus Christus, dem Erlöser der Welt, zu hören. Dabei verwies er auf die dramatischen Veränderungen des christlichen Lebens in Deutschland: Die Kirchen verlieren laut einer Prognose in den nächsten 40 Jahren rund die Hälfte ihrer Mitglieder. Deutschland sei zu einem Missionsland geworden. Es gelte ferner, das Evangelium in die digitale Welt zu tragen. Dabei sei er zuversichtlich, dass Gottes Wort Zukunft habe: „Gott weist den Weg.“ Musikalisch gestaltet wurde die Feier von Studentinnen und Studenten der Internationalen Hochschule und der Interkulturellen Theologischen Akademie.