„Ich will dafür bekannt sein, dass ich Gott und Menschen diene“ – 100 Tage im Amt des Missionsdirektors
Dave Jarsetz trat am 15. September die Nachfolge von Martin Auch als Missionsdirektor an. Der 40-Jährige ist damit für die missionarische Arbeit weltweit verantwortlich. Dave Jarsetz studierte am Theologischen Seminar der Liebenzeller Mission. Zusammen mit seiner Frau Anette gründeten und leiteten sie das Kurzeinsatzprogramm „impact“. Vier Jahre waren beide in Papua-Neuguinea tätig und bauten dort eine sozialmissionarische Arbeit in den Armenvierteln der Hauptstadt Port Moresby auf. Bevor er zum Fachbereichsleiter und Strategieberater in den Bereich Mission berufen wurde, leitete der Vater eines Sohnes die Studien- und Lebensgemeinschaft der Liebenzeller Mission. Wir sprachen mit ihm über seine ersten 100 Tage im neuen Amt.
Dave, was hat dich am neuen Amt bislang am meisten überrascht?
Positiv überrascht hat mich das Wohlwollen vieler Kolleginnen und Kollegen. Ich verspüre als relativ „junger Leiter“ in dieser Aufgabe überhaupt kein Misstrauen, keine übersteigerten Erwartungen, keine „Jetzt- beobachten-wir-erst-Mal-und-schauen,-was-er-macht“-Haltung oder irgendwelche Bedenken. Das empfinde ich als ein Geschenk.
Wenn die Corona-Pandemie keine Rolle spielen würde: Welches unserer 22 Missionsländer würdest du am liebsten als nächstes besuchen?
Es ist Bangladesch. Denn dort war ich bis jetzt noch nicht. Da es eines der größten muslimischen Länder ist, interessiere ich mich brennend dafür, wie die Arbeit vor Ort aussieht und vor allem, welche Rolle wir als Liebenzeller Mission in diesem Land künftig einnehmen können und sollen.
Was muss ein Missionar bzw. eine Missionarin unbedingt können bzw. was wird immer wichtiger als Fähigkeit?
Das lässt sich so einfach nicht sagen. Es kommt dabei auf den Kontext, die Situation und die Aufgabe an. Was mir in letzter Zeit immer wichtiger wird, ist das Thema der geistlichen Resilienz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Resilienz ist bekanntlich die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Dabei geht es darum, wie geistliche Widerstandsfähigkeit und ein gesundes Immunsystem der Seele und des Glaubenslebens gefördert werden kann. Die Komplexität unserer Welt mit all ihren sichtbaren und unsichtbaren Herausforderungen braucht Missionare, die in Jesus und seinen Worten gegründet sind, die standhaft bleiben, wenn es schwierig wird, die bereit sind, Widerstände auszuhalten, mit Enttäuschungen umzugehen. Die auch dann noch dienen, wenn es nicht Spaß macht und es nicht der eigentlichen Gabe entspricht, die es gelernt haben, „den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen“ (siehe 1. Timotheus 6,12) und Gott über alles lieben.
Welche Eigenschaft(en) muss ein Missionsdirektor unbedingt haben?
Nötig sind: Global: einen weiten weltmissionarischen Blick für das, was Gott tut und was dran ist; Geistlich: von der Liebe Jesu bewegt, dazu: fröhlich, leidenschaftlich, mutig, entschlossen, Gott vertrauend, vergebungs- und hörbereit; Charakterlich: souverän in schwierigen Momenten, nahbar und authentisch ; Physisch: leistungsbereit und belastbar; Sozial: hörbereit, sich was sagen zu lassen, menschenorientiert mit Blick für die Berufung und Begabung von Menschen; Fachlich: eindeutig in der Leitung und Verkündigung, zielorientiert, strategisch geschickt, kommunikativ klar; Allgemein: zu dem zu stehen, was er ist und kann und was er eben nicht ist und kann.
Wie sieht die Missionsarbeit an deinem 50. Geburtstag aus?
Wenn ich bereits eines von diesem Corona-Jahr gelernt habe, dann dies: Es kommt erstens anders. Zweitens als man denkt. Von daher wage ich keine Zukunftsprognose. Ich gehe davon aus, dass wir es grundsätzlich schwerer mit dem „Menschen-Fischer-Dasein“ haben werden, dass wir uns vermehrt mit Kritiken und Widerständen auseinanderzusetzen haben und dass in vielen Ländern die „klassische Missionsarbeit“ erschwert oder gar verboten sein wird. Mission wird zu einem Reizwort und zu einem Ärgernis. Ich gehe jedoch auch davon aus, dass die Arbeit in vielerlei Hinsicht digitaler, vielseitiger und flexibler geworden ist – hoffentlich auch relevanter. Die Rolle unserer Missionare wird sich stärker verändert haben. Partnerschaft wird an Bedeutung gewinnen. Die Finanzierung der Arbeit wird eine größere Herausforderung darstellen. Als Liebenzeller Mission wünsche ich mir, dass wir bei meinem 50. Geburtstag unserer Berufung und Beauftragung treu geblieben sind: dass das ganze Evangelium weiterhin in Wort und Tat, mit Gott von Mensch zu Mensch, überall und weltweit seine Sprengkraft entfaltet. Und dass wir als „großer Missionswerkdampfer“, besser als große „Missionsorganisations-Flotte“ zu neuen Ufern aufgebrochen sind. Und dabei den Sturm-Stiller Jesus immer wieder erleben und dabei erfahren, dass Menschen überall auf der Welt durch ihn frei, fröhlich und heil werden.
Du erlebst als Missionsdirektor viel Freud und Leid oft sehr drastisch in kurzen Momenten. Wie gehst du damit um und was hilft dir dabei?
Da fällt mir spontan der Bibelvers aus dem Römerbrief ein: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden“ (Römer 15,12). Mit-Freude und Mit-Leid sind zwei wichtige Dimensionen, für die es Raum und Zeit braucht. Ich lasse sie zu und bringe sie vor Gott. Mir hilft es, wenn ich bereits am frühen Morgen – bevor es um mich herum umtriebig wird – zunächst alleine und dann mit meiner Frau vor Gott die Dinge bewegen kann. Ansonsten bin ich dankbar, dass Gott mir die Gabe gegeben hat, schnell von einem zum anderen umschalten zu können.
Was ist deine Lieblingsbibelstelle neben dem Leitvers – Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. (1. Timotheus 2,4) – der Liebenzeller Mission?
„Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“ (1. Korinther 15,10).
Und welches Buch sollte jeder Mitarbeitende der Liebenzeller Mission neben der Bibel gelesen haben?
„Gott braucht keine Helden“ von Magnus Malm. Weil es mir damals beim Studium in Liebenzell sehr geholfen hat, zwischen Berufung und Sendung zu unterscheiden. Es zeigt wunderbar auf, worauf es letztlich ankommt: Ich bin zuallererst zum Kind-Gottessein berufen. Wir stehen nämlich in der Gefahr, dass wir uns über Tun und unsere Arbeit zu definieren.
Wie siehst du deine Rolle als Missionsdirektor: Coach, Leiter, Mediator?
Es kommt für mich sehr darauf an, möglichst situativ und von Gottes Geist geleitet die Rolle einzunehmen, die gerade jetzt von mir gefordert ist. Einmal wird von mir eine klare Leitungsentscheidung erwartet. Ein anderes Mal sitzt ein Missionarsehepaar vor mir und ringt um ihren künftigen Weg. Da braucht es mehr Beratung. Grundsätzlich nehme ich gerne Leitung wahr und übernehme Verantwortung. Dazu gehört für mich vor allem der Aspekt des Ermöglichens.
Du hast als „Regierungsprogramm“ folgendes Zitat des Kirchenvaters Augustin (354–430 n. Chr.) gewählt: „Wir dienen euch, liebe Brüder und Schwester, aufgrund der uns aufgetragenen Pflicht, die wir euch gegenüber haben. Was wir aber nötig haben, ist, dass wir selbst genauso von Gott behütet werden, wie ihr es von uns erwartet. Wir handeln als eure Hirten, aber letztlich sind wir genauso Schafe, wie ihr es seid – Schafe unter dem einen himmlischen Hirten. Wir sind diejenigen, die euch anleiten und lehren sollen, aber gleichzeitig sind wir mit euch zusammen Schüler unter dem einen himmlischen Lehrer.“ Warum diese Passage?
Ich habe mich für das Zitat entschieden, weil ich meine Führungsaufgabe als einen Dienst verstehe. Ich will dafür bekannt sein, dass ich Gott und Menschen diene. Dabei will ich mich nicht über Menschen stellen, sondern weiß auch um meine menschliche Seite. Ich lebe genauso wie jeder andere von der Fürsorge, Führung und dem Schutz des Hirten. Ein guter Hirte zeichnet sich für mich durch seine Selbstlosigkeit aus – er gibt sein Leben für die Schafe.