Funkensprühendes Theaterstück über Missionsgeschichte
BAD LIEBENZELL. Über 900 Besucher bei fünf Aufführungen, 29 Schauspieler im Alter zwischen 15 und 70 Jahren, eine Diakonisse, die elf Jahre um einen feuerspeienden Berg betet, eine Millionärin, die einer jungen Missionsgesellschaft einen ganzen Berg in Bad Liebenzell und mehrere Häuser vermacht, ein wagemutiger Pfarrer, der Menschen weltweit Gottes Liebe weitergeben will – das waren die Schlaglichter eines außergewöhnlichen Theaterstücks über die 125-jährige Geschichte der Liebenzeller Mission.
Barbara Schmidtke, Leiterin des Freien Theaters, schrieb das Textbuch nach einer Idee von Cheforganisatorin Stephanie Thieser von der Liebenzeller Mission und führte auch Regie. Das Bühnenbild entwarf der ehemalige Archivar der Liebenzeller Mission, Udo Schmitt. Neben Ensemblemitgliedern des Freien Theaters spielten auch Studierende und Mitarbeitende sowie Schwestern der Mission mit. Die Aufführungen stießen auf überwältigende Resonanz, alle Termine waren rasch ausgebucht.
Unter dem Titel „Ein Funke fliegt in die Welt – Heinrich Coerper und die Anfänge der Liebenzeller Mission“ erlebten die Besucherinnen und Besucher die packende und bewegende Entstehungsgeschichte eines der größten evangelischen Missionswerke in Deutschland. Das historische Missionshaus in Bad Liebenzell, erbaut zwischen 1905 und 1907, bot den perfekten Rahmen für die Aufführungen.
Den originellen Auftakt bildete eine eindrucksvolle Szene aus dem Jahr 1907: Die Besucher, Gäste, Mitarbeiter und Schwestern warteten gespannt auf die Ankunft von Pfarrer Heinrich Coerper (1863–1936). Da die Tür wegen Überfüllung nicht geöffnet werden konnte, stieg der sehnsüchtig Erwartete kurzerhand durchs Fenster ein und meinte nur: „Man muss ungewöhnliche Wege gehen, um die Menschen zu erreichen“.
In einer Art Rahmengespräch trat nun ein „Obdachloser“ auf, der einen Schlafplatz suchte. Im Gespräch mit Heinrich Coerper entdeckten beide, dass sie aus Meisenheim am Glan in der Nordpfalz stammen. Aus dieser Rahmenhandlung entwickelte sich das Stück, in dem Coerpers Kindheit und Jugend und sein Werdegang geschildert wurden. Er war ein Junge, der vom Kuchenteig der Mutter schleckte und mit Freunden Obst von den Bäumen stahl. Coerper studierte Theologie in Halle, Tübingen, Utrecht, Berlin und Bonn. Er spielte Geige, aber – so schrieb er in sein Tagebuch – zum Studieren fehlte ihm der Hunger.
Nach einem Duell stand er vor der Wahl: „Entweder Gott oder die Mensur“. Er entschied sich für Gott: „Der Wille des Herrn ist mir wichtiger.“ Immer wieder plagten ihn Zweifel an seinem Glauben und seinem Lebensstil. In Bonn lernte er den Theologieprofessor Theodor Christlieb kennen, der ihn entscheidend prägte. Von ihm erhielt er entscheidende Impulse für seine spätere Missionsarbeit.
Anrührend und humorvoll stellten die Schauspieler die Verlobungsszene von Heinrich Coerper und seiner zukünftigen Frau Ruth aus der Schweiz dar. Als Coerper nach scheinbar quälend langen Minuten, in denen man am liebsten auf die Bühne gestürmt wäre, um ihm schüttelnd zuzurufen: „Frag sie endlich!“, die erlösende Frage stellte: „Willst du meine Frau werden?“ und Ruth zustimmte, gab es spontanen Applaus. Die beiden heirateten im September 1894 und bekamen vier Kinder. Ihr Sohn Samuel starb jedoch bereits im Alter von zwei Jahren an Tuberkulose.
1899 gründete Heinrich Coerper auf Bitten des englischen Arztes Hudson Taylor (1832–1905), der 1865 die China-Inland-Mission gegründet hatte, deren deutschen Zweig in Hamburg. Als die Niederlassung einer Durchgangsstraße weichen musste, zog das Missionswerk 1902 in den Schwarzwald. Dort betete Schwester Lina Stahl elf Jahre lang für einen „feuerspeienden Berg“, von dem aus das Evangelium in alle Welt gehen sollte. In dem Schwarzwaldstädtchen fand das Missionswerk in der Villa Lioba ein Zuhause.
Der Stuttgarter Textilfabrikant Friedrich Vollmöller hatte auf dem heutigen Missionsberg aus dem stillgelegten Rohbau einer Silberwarenfabrik ein prächtiges Landhaus errichten lassen und vermietet. Lange rang Heinrich Coerper mit sich und Gott, bis er sich entschloss, der Einladung von Lina Stahl zu folgen und den Sitz seines Missionswerkes fernab aller Überseehäfen in den Schwarzwald zu verlegen. Die Millionärin und Missionsfreundin Hilda von Diest übernahm einen großen Teil der Miete, kaufte später die Villa und vermachte sie der Liebenzeller Mission.
1906 nahm man den Namen der neuen Heimat an und wurde zur Liebenzeller Mission. Die Missionsgesellschaft leistete in den folgenden Jahren Pionierarbeit in China, Mikronesien, Papua-Neuguinea und in Japan. Am 8. Juli 1936 verstarb Heinrich Coerper. Heute arbeiten 250 Missionarinnen und Missionare in 26 Ländern der Welt.
Das Theaterstück zeigte aber nicht nur die Höhepunkte im Leben Heinrich Coerpers, sondern verschwieg auch nicht seine fatalen Fehleinschätzungen. So erzählte der Theologe rückblickend, dass er zeitweise Hoffnungen in die Nationalsozialisten gesetzt und Briefe an Adolf Hitler geschrieben habe. Er habe gehofft, die Politik des Diktators positiv beeinflussen zu können. Da Heinrich Coerper drei Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten starb, konnte er den wahren Charakter des NS-Regimes nicht mehr erkennen. Im Theaterstück hielt der Obdachlose einen flammenden Appell, dass so eine menschenverachtende Grausamkeit wie die des NS-Regimes nie wieder passieren darf.
Am Ende des Stückes ließ Udo Schmitt noch einmal alle wichtigen „Funken“ der Entstehungsgeschichte und des Gründervaters Revue passieren. Dazu erschienen alle Schauspieler mit den Jahreszahlen der Ereignisse auf der Bühne. Die Funken flogen am Ende auch mit einem gewaltigen Feuerwerk! Unter den Ehrengästen befanden sich auch mehr als 40 Nachfahren der Familie Coerper. Bei der Première gab es sogar Standing Ovations.
In den Aufführungen wurde deutlich, dass der stark vom Pietismus geprägte Theologe von einem tiefen Gottvertrauen erfüllt war. Wichtig waren Heinrich Coerper das Gebet und das Studium der Bibel. Hier schöpfte er immer wieder Kraft für seine Arbeit. Vom Gründer der Liebenzeller Mission kann man lernen, was Gottvertrauen bewirken kann – gerade dann, wenn man sich einer Aufgabe nicht gewachsen fühlt.
Wer sich näher für die Geschichte der Liebenzeller Mission interessiert, wird in der im Herbst erscheinenden Biografie über Heinrich Coerper fündig. Geschrieben hat sie der ehemalige Professor für Kirchengeschichte an der Internationalen Hochschule Liebenzell, Bernd Brandl aus Schömberg.
„Das Interesse war riesig und hat uns überwältigt. Ganz besonders war die Begegnung mit den Nachfahren der Familie Coerper, die aus ganz Deutschland angereist waren“, so Stephanie Thieser. Berührend sei auch die einzigartige Gruppenkonstellation mit dem Freien Theater, Studierenden und Mitarbeitern der Liebenzeller Mission gewesen, die sich mit viel Engagement und Zeit eingebracht hätten.
„So etwas wie dieses Theaterprojekt hat es in Bad Liebenzell noch nie gegeben“, sagt Barbara Schmidtke. „Mich hat beeindruckt, mit welchem Gottvertrauen Heinrich Coerper in den Schwarzwald gekommen ist.“