Gemeindebau und Seelsorge entscheiden über die Zukunft der Kirche
Kirche braucht künftig mehr Gemeinden, die ihr Umfeld ernst- und wahrnehmen, missionarisch und regional vernetzt sind.
Diese Ansicht vertrat der langjährige Greifswalder Theologieprofessor Michael Herbst (Viereth-Trunstadt/Oberfranken) bei den „Impulstagen Gemeindeentwicklung und Seelsorge“ am 29. und 30. September in Bad Liebenzell. Bei der Tagung der „Initiative Seelsorge Beratung Bildung“(ISBB) und der IHL nahmen über 300 Seelsorger, Gemeindeleiter, Theologen, interessierte Gemeindemitglieder und Studierende der IHL wesentliche Impulse auf, wie Gemeindearbeit künftig aussehen kann.
Die gemeinsam veranstaltete Konferenz spannte einen weiten Bogen mit den Themen Pluralität der Gemeindeformen – Knackpunkt Jüngerschaft: Mündige Gemeinden entwickeln – Burnout bei hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden – Seelsorge in analoger und digitaler Form und Geistlich leiten. Am Freitag rundete eine Podiumsdiskussion zum Thema Gemeindeentwicklung und Seelsorge – Inspirierende Wechselwirkungen den Konferenztag ab.
Michael Herbst war zu Beginn seiner Dienstzeit in Bethel mehrere Jahre als Klinik-Seelsorger tätig. Er hat nicht nur Grundlagenwerk zur Seelsorge vorgelegt, sondern in Greifswald ein Institut für Gemeindeentwicklung gegründet und über viele Jahre geleitet.
„Wir kommen mit der bisherigen Form der Kirche ans Ende“, sagte der Theologe. Denn Kirche und das, für das sie stehe, erscheine immer mehr Menschen für ihr Leben irrelevant und überflüssig. Es gelte, sich vom Denken zu verabschieden, dass alles von der Pfarrerin und dem Pfarrer abhängen muss. Das bisherige Bild, dass „gute Kirche nur gut ist, wo es ein Gebäude und ein Pfarrhaus gibt, in dem Licht brennt, ist ein furchtbarer Tunnel.“
Künftig gebe es eine Minderheitenkirche in einem säkularen Umfeld: „Wir ‚haben‘ die Menschen nicht mehr, sie gehören nicht mehr automatisch zur Volkskirche, wir müssen sie gewinnen“, sagte Michael Herbst. Mission geschieht ihm zufolge durch verschiedene alte und neue Gemeindeformen mit mündigen Christen. Ziel aller kirchlichen Arbeit müsse sein, die Getauften zu einem mündigen, lebendigen Christsein zu ermächtigen, zu ermutigen und zu ertüchtigen, was bedeutet: „Bei Jesus sein und mit ihm unterwegs sein.“
Christen integrieren Gegensätze
„Wenn polarisierte Menschen sich ernsthaft miteinander auseinandersetzen und als Nachfolger von Jesus Christus sich begegnen, werden zementierte Einstellungen hinterfragt. Christen integrieren Gegensätze.“ Diese Ansicht vertrat der Professor für Psychologie und Counseling, Ulrich Giesekus (Freudenstadt), in seinem Referat zu „Polarisierung und Integration in Gesellschaft, Kirche und Seelsorge“. Psychotherapie und Seelsorge will und muss Gegensätze verbinden, unterschiedliche subjektive Wirklichkeiten in den Dialog bringen, und innerhalb wie außerhalb des Individuums zu einer Befriedung gegnerischer Tendenzen einladen.
Als Mitveranstalter seitens der IHL zog Ulrich Giesekus ein positives Fazit der Tagung: „Die Themen Gemeindebau und Seelsorge sind entscheidend für die Zukunft der Kirchen und Gemeinschaften. Die christlichen Institutionen, die jetzt etabliert sind, verlieren an Bedeutung – aber Jesus hat nicht sein Interesse an den Menschen verloren.“ Viele der bisherigen Selbstverständlichkeiten und Traditionen werden Änderungen erleben. Der Hauptreferent Michael Herbst traf laut der Leiter der Veranstaltung Ulrich Giesekus und Gebhard Weik die richtige Mischung: Wissenschaft und Forschung mit Ermutigung und Motivation, Ansprache für Kopf und Herz, mit viel Humor und kurzweilig, ohne dass der Unterhaltungswert auf Kosten des Inhalts ging. Laut Gebhard Weik, Leiter der ISBB, zeigte die Tagung auf, wie Seelsorge den Gemeindebau fördert und wie der Gemeindebau der Seelsorge einen gebührenden Platz einräumen kann.
Die ISBB ist ein Arbeitszweig des Liebenzeller Gemeinschaftsverbandes und unterhält eine Beratungsstelle in Calw-Hirsau und bildet Mitarbeitende von Gemeinden in Beratender Seelsorge aus. In diesem Jahr erhielten bei dem Kongress elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Abschlusszertifikat.