MISSION weltweit – Ausgaben 2021

20 Foto: istockphoto/mccieb weiterdenken >> sonderbeitrag zum thema von prof. dr. volker gäckle Prof. Dr. Volker Gäckle ist verheiratet mit Bettina und Vater von drei erwachsenen Kindern. Der frühere Studienleiter für Neues Testament am Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen war ab 2006 Direktor des Theologischen Seminars der Liebenzeller Mission. Als Professor für Neues Testament ist er seit 2011 Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL). foto. h. stamm Neue Probleme lassen sich nicht mehr mit alten Reflexen lösen Wenn Menschen, Organisationen und Institutionen sich den anstehenden Veränderungen verweigern, dann bekommen sie früher oder später Probleme und eines der frühesten Probleme ist ein Haushaltsproblem. Dieses reflektiert sehr häufig den Unwillen oder die Unfähigkeit eines Arbeitnehmers, einer Firma, einer Kirche, einer Gemeinde oder eines Missionswerkes, fundamentale Fragen anzugehen und sich über die eigene(n) Identität, Zweckbestimmung und Prioritäten klar zu werden. Was die Veränderungen dieser Zeit für die Liebenzeller Mission bedeuten, ahnen wir schon, aber wir wissen es noch nicht mit Klarheit. Auch wir tasten uns voran, wie mit einem Kajak auf einem Wildwasserfluss. Aber – um noch einmal Thomas Straubhaar zu zitieren – „es gehört zur Ehrlichkeit, in solchen Zeiten neue Probleme nicht mit alten Reflexen lösen zu wollen“. Gott lässt sich auch in neuen Zeiten finden Übrigens enthält die Heilige Schrift eine Fülle von Geschichten, wie Menschen disruptive Veränderungen in ihrem Leben oder ihrem Volk überlebt und bewältigt haben. Man denke nur an Abraham, Josef oder den Auszug aus Ägypten. Für mich sind die wichtigsten Geschichten für die Gegenwart die biblischen Erzählungen von der Wegführung der Juden nach Babylon. Damals erlebten die Juden als ganzes Volk und jeder Jude in seinem Leben einen grundstürzenden Wandel ihrer Existenz. Ich glaube, dass die Veränderungen in unserer Gegenwart in vielerlei Hinsicht einem Weg ins babylonische Exil gleichen. Für die Juden war das eine Katastrophe: Bedeutete die Wegführung aus dem gelobten Land in eine heidnische Umgebung und die Entfernung vom Tempel als dem verheißenen Ort der göttlichen Gegenwart nicht auch eine Wegführung von Gott selbst, der Quelle des Lebens? Aber dann erleben sie, wie sich Gott durch alle disruptiven Veränderungen hindurch auch in Babylon finden lässt und ihnen Zukunft und Hoffnung gibt. Der katholische Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer hat recht, wenn er sagt: „Der Heilige Geist wird uns Wege finden lassen, von denen wir noch nicht einmal ahnen, dass es sie gibt.“ Die gute alte Zeit kommt nicht mehr zurück, aber wir werden Gott durch alle Veränderungen hindurch finden und er wird auch an uns seine Verheißung wahr werden lassen: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.“ (Jeremia 29,11) l In solchen Zeiten sind Konflikte unvermeidbar Wir Menschen versuchen grundsätzlich, schmerzhafte Anpassungsprozesse in unserem Leben zu vermeiden. Wir versuchen die Probleme, die sich durch die Veränderungen ergeben, hinauszuschieben, zurückzustellen oder die Last an jemand anderen weiterzugeben. In solchen Zeiten stehen Politiker, Wirtschaftsführer, Bischöfe und generell alle Führungskräfte im Feuer, denn im Angesicht des Veränderungsdrucks wollen Menschen und Mitarbeitende keine offenen Fragen von ihren Politikern und Vorgesetzten hören, sie wollen lieber klare und verlässliche Antworten haben. Sie wollen nicht hören, dass sie Verluste und Belastungen aushalten müssen, sondern dass die Kanzlerin, die Kirchenleitung oder der Chef sie beschützt vor den Schmerzen des Wandels. In disruptiven Zeiten müssen wir Abschied von Bewährtem nehmen Das größte Problem ist, dass die notwendigen Veränderungen von Gewohnheiten, Werten und Haltungen eine Illoyalität zu ihren Ursprüngen erfordert. Um es am Beispiel von Daimler und den großen Volkskirchen deutlich zu machen: Um die Firma und das Auto erfolgreich in die Zukunft zu führen, muss man sich von dem Bauteil verabschieden, welches das Herz, der Ursprung, die Grundidee, der Stolz der Firma war: dem Verbrennungsmotor. Generationen von Spitzeningenieuren haben diesen Motor perfektioniert, und nun wird er durch eine viel simplere Antriebsart ersetzt. Um die Kirchen und Gemeinden in die Zukunft zu führen, müssen sich Kirchenleitungen von dem über 1000 Jahre alten Bild einer Volkskirche mit ihren Strukturen, Privilegien und Ordnungen verabschieden, in die sich über die Jahrhunderte ungezählte Menschen mit großer Leidenschaft und Freude eingebracht haben. Die Heilige Schrift enthält eine Fülle von Geschichten, wie Menschen disruptive Veränderungen in ihrem Leben oder ihrem Volk überlebt und bewältigt haben. foto: doug voss on unsplash

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