MISSION weltweit – Ausgaben 2018

darum geht’s JaPan 16 Ich kann mich gut an eine Begebenheit aus meiner Sprachschulzeit erinnern. Obwohl ich von Kindheit an Japanisch konnte, musste ich noch viel lernen. Manchmal waren der Unterricht und das Lernen richtig anstrengend. Die Schriftzeichen, die Höflichkeitsformen, transitive und intransitive Verben … Aber irgendwann habe ich doch etwas kapiert und freute mich über diesen Erfolg. Als ich am nächsten Tag im Unterricht erwartungsvoll hoffte, dass mich die Lehrerin loben würde für das, was ich erreicht hatte, sagte sie gar nichts. Im Gegenteil, sie machte einfach im Stoff weiter und meinte: »Als Nächstes müssen wir die verschiedenen Zählarten lernen.« Meine amerikanischen Mitstudenten konnten erst recht nicht verstehen, warum nie ein Wort des Lobes kam. Ich hatte damals oft folgendes Beispiel vor Augen: Jemand hält einem Kind ein Bonbon hin: „Wenn du es erreichen kannst, darfst du es haben.“ Aber jedes Mal, wenn es das Bonbon nehmen will, wird es etwas höher gehalten. Es kam mir so vor, als ob ich das „Bonbon des Spracherfolgs“ nie bekommen würde. Einmal fassten wir Studenten uns ein Herz und sprachen mit der Lehrerin darüber. Ihre Antwort: „In Japan lobt man Erwachsene nicht!“ Schwester Priscilla Kunz ist in Japan aufgewachsen und arbeitet dort seit 1995 im Gemeindebau, seit 2017 in Chikusei. Ein Tabu in Japan ist immer noch die Zahl „vier“. Sie wird „shi“ ausgesprochen und ist phonetisch gleichbedeutend mit dem Wort für Tod. Wo irgend möglich, wird die als magisch geltende Zahl im Alltag umgangen. Ich dachte, dass sich dieses Tabu etwas gelockert hätte, weil mittlerweile auch öffentlich über den Tod und das Sterben gesprochen und (besonders Alleinstehenden) empfohlen wird, mit einem Bestatter die Beerdigung und Grabpflege zu regeln. Deshalb hat mich neulich eine Begebenheit total überrascht. Im Supermarkt gab es Gemüse als „tsutsumehoudai“. Das bedeutet, dass man in eine bereitgelegte, zirka zwei Liter große Tüte so viel Gemüse stopfen kann, wie man will. Dafür bezahlt man einen festgelegten Betrag, etwa einen Euro. An diesem Tag gab es Zwiebeln, Karotten und Kartoffeln. Ich hatte meine Tüte gefüllt und ohne nachzudenken vier Karotten genommen. Daraufhin lief mir eine Angestellte mit einer Karotte durch den halben Supermarkt nach. Sie steckte sie mit vielen Verbeugungen und Entschuldigungen in meine Tüte. „Das geht gar nicht, vier Karotten“, meinte sie und verschwand. Schwester Gretel ruoff unterstützt von Nakanoshima aus das Japan-Team und bringt sich in der Frauen- und Gemeindearbeit ein. mithelfen: SpENDENCoDE 1340-32 Japan no-gos in Japan ungewohnte tabus machen das leben in einer anderen kultur nicht einfach. Weshalb wird leistung herabgespielt? und weshalb müssen fünf karotten in die tüte? drei missionarinnen über verhaltensweisen, die man in Japan vermeidet. Im Gespräch mit Müttern erlebe ich es immer wieder: Während ich positiv und lobend über meine Kinder und meinen Ehemann rede, höre ich von meinem Gegenüber kaum ein wohlwollendes Wort über die eigene Familie. Es kommt vor, dass sich ein Kind anstrengt und ein besonders schönes Bild malt – und von der Mutter so gut wie keine Reaktion kommt. Das hat mich schon oft frustriert und traurig gemacht. Als ich in unserer Gemeinde nach dem Grund für ein solches Verhalten fragte, wurde mir erklärt: In Japan ist es kulturell unangepasst, aus der Masse hervorzustechen. Wenn man lobend über die eigene Familie spricht, empfinden es Japaner so, als würde man sich selbst loben. Und das will man vermeiden, denn damit stellt man sich über den anderen. Deshalb geschieht Lob, wenn überhaupt, meist nur innerhalb der Familie. Dies erklärt auch, warum ich oft folgende Antwort erhalte, wenn ich mein japanisches Gegenüber für etwas lobe: „iie, iie!“ („Ach nein, ach nein!“) Und dann wird begründet, warum die eigene Leistung doch nichts Besonderes war. Trotzdem will ich nicht aufhören, fröhlich Lob zu verteilen. rahel Gross lebt mit ihrer Familie seit 2009 in Japan. ihre Aufgabe ist die Gemeindearbeit in ome im Westen Tokios. Als „No-Go“ (geht nicht) bezeichnet man unangebrachte Verhaltensweisen und Tabus. FoTo: REBECCA GuNZENhAuSER FoTo: RAhEL GRoSS

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