MISSION weltweit – Ausgaben 2018

darum geht’s ecuador 12 Ich reagierte ecuadorianisch ausweichend, indem ich die Frage ignorierte, denn es hatte sich ein Themenwechsel angeboten: Noemi schrie, weil sie eine frische Windel brauchte. Mittlerweile sind sechs Jahre vergangen, und mir wurde bewusst, dass Themen wie Familienplanung, Verhütung oder Kinderzahl hier in der Stadt nicht tabu sind und daher auch nicht ausschließlich in den engen Freundeskreis gehören. Nein, sie sind durchaus tauglich für Small-Talk, oft sogar bei einem Erstkontakt und unabhängig davon, ob es sich um Christen oder Nichtchristen handelt. In der Schule unserer ältesten Tochter sind gängige Fragen, wer wie viele Kinder hat und/oder noch haben möchte. Oft will man von mir wissen, wann denn nach unseren beiden Mädchen endlich „der Junge“ kommt. Für die meisten Familien in der Stadt ist das Ideal, zwei Kinder zu haben, ein Junge und ein Mädchen. Ich erkläre dann meistens, dass es für uns nicht wichtig ist, welches Geschlecht unsere Kinder haben, sondern dass wir dankbar sind, dass Gott uns Kinder geschenkt hat und wir uns an ihnen freuen – unabhängig vom Geschlecht. in meiner Frageweise habe ich mich mittlerweile kulturell angepasst Immer wieder frage ich dann auch meine Gesprächspartnerin, wann sie denn das nächste Kind haben möchte. Die meisten erklären ziemlich vehement, dass ihnen das eine oder die beiden Kinder reichen. Manche wollen sich finanziell nicht mehr Kinder „leisten“, einige fühlen sich mit mehr überfordert. Es gibt weder Kindergeld noch andere Vorteile wie in Deutschland, und so sind oft beide Elternteile berufstätig. Und es gibt auch viele alleinerziehende Mütter, die arbeiten müssen. Aber nicht nur die Zahl der erwünschten Kinder wird erklärt, sondern auch, ob sich die Mutter offenheit macht verletzlich und ist nicht immer leicht, aber sie öffnet auch neue Türen, Gesprächsmöglichkeiten und gibt Tiefgang in Freundschaften und Beziehungen. Familienplanung ist kein Tabu in ecuador, eher aber die Frage nach dem Verdienst. der aktuelle mindestlohn beträgt monatlich 386 us-dollar (umgerechnet ca. 330 euro). doch allein die miete für eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der stadt kostet mindestens 150 usd zzgl. nebenkosten. obwohl in den vergangenen Jahren eine positive entwicklung zu verzeichnen ist, sind nach wie vor viele ecuadorianer weder versicherungspflichtig angestellt noch erhalten sie den mindestlohn. die kluft zwischen arm und reich ist deutlich größer als in deutschland. das zeigt der gini-index*, der ungleichverteilungen misst. er lag 2016 in deutschland bei 29,5 – in ecuador bei 45,0. ein giniindex von 0 steht für eine absolut gleichmäßige einkommensverteilung, 100 steht für absolute ungleichheit. „sag mal, wie verhütet ihr eigentlich?“ diese frage traf mich völlig unvorbereitet in meinem ersten gottesdienst in ecuador. sie wurde mir im Übertragungsraum für mütter mit babys gestellt. Zuerst dachte ich, dass ich aufgrund meines damaligen anfänger-spanischs die frage nicht richtig verstanden hätte. doch die frau ließ nicht locker und hakte nach. verhütung – kein tabu in ecuador Eine „ideale“ Familienkonstellation bei der städtischen Bevölkerung FoTo: CARLoS CASTRo * Quellen: https://knoema.de/atlas/Ecuador/Gini-Koeffizient http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?wai=true&dataset=ilc_di12

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