DArum Geht’S eCuADor 16 Foto: Heiko ernDWein Das hörten wir nicht zum ersten Mal. Hatte er überhaupt schon angefangen? Was hatte er mit dem bereits bezahlten Vorschuss gemacht? Material gekauft, wie er behauptete, oder doch eher alte Schulden beglichen? Wagte er es etwa, uns zu belügen? In so einer Situation geht einem allerlei durch den Kopf. Manchmal leider auch über die Lippen. Deutsche sind für ihre Direktheit bekannt und gefürchtet. Weltweit. Wir sagen oft, was wir denken. Frei von der Leber weg. Im Ausland verbindet man uns mit vielen positiven Eigenschaften. Man schätzt Deutsche zum Beispiel als fleißige, zuverlässige, pünktliche, pflichtbewusste Partner, die kreativ, gründlich und mit Ausdauer Projekte verfolgen und zu Ende bringen. So sehen wir uns gerne auch selbst. Leider gibt es eine Kehrseite Was für uns Gründlichkeit ist, wird von anderen als bloßes Interesse an der Sache wahrgenommen. Man empfindet uns als pedantisch und bürokratisch. Und durch unsere Art, Dinge – die „Wahrheit“ – direkt anzusprechen, setzen wir Beziehungen aufs Spiel. Sie merken: Auch ein Verhalten hat, wie eine Medaille, zwei Seiten. Was für den einen gut und richtig erscheint, ist für einen anderen anmaßend und verletzend. Während Deutsche Probleme Heiko und Simone Erndwein leben seit juli 2006 in ecuador und haben vier Söhne. Sie arbeiten unter Quichua-indianern in den vielen Dörfern um Cotacachi. Dazu gehört die missionarische Arbeit unter kindern, jugendlichen und erwachsenen, theologischer unterricht und Schulungen. heiko absolvierte nach dem Abitur die Ausbildung am theologischen Seminar der liebenzeller mission. Simone ist heilerziehungspflegerin. Das ist ja typisch … Die Stockbetten hätten schon lange fertig sein sollen. Waren sie aber nicht. Schon seit Wochen nicht. Der ecuadorianische Schreiner versuchte zu beschwichtigen: „ende der Woche. bestimmt! haben Sie Geduld.“ direkt ansprechen, sind Ecuadorianer darauf bedacht, niemandem auf die Füße zu treten. Dabei entsteht für uns ein Problem: Ist das nicht schon eine Lüge, was mein Gegenüber da sagt? Sie erinnern sich an das Erlebnis mit dem Schreiner vom Anfang. Ein weiteres Beispiel: Wir erleben immer wieder etwas, was meine Frau und ich als „Mañana-Mentalität“ bezeichnen. Mañana ist das spanische Wort für „morgen“ im Sinne von „am nächsten Tag“. Ich wollte einmal Bilder entwickeln lassen und fragte die Verkäuferin, wann sie fertig seien. Sie meinte: „¡Mañana!“ Also stand ich am nächsten Tag im Laden. Aber da waren noch keine Bilder. Wieder hieß es: „¡Mañana!“ So ging es einige Zeit lang. Ähnliche Geschichten könnte ich Ihnen über Autoreparaturen, das Ausstellen von Fahrzeugpapieren, Bezahlen von Stromrechnungen und vieles andere mehr erzählen. Worum geht’s: Sache oder Beziehung? Ich musste lernen, dass Ecuadorianer mir oft das sagen, von dem sie denken, dass ich es hören will. Was für mein Verständnis einer Lüge sehr nahe kam, war für mein Gegenüber eine unbewusste Entscheidung, die Beziehung höher zu stellen als das, was ich als Wahrheit bezeichnen würde und gerne gehört hätte. Mir ging es mehr um die Sache, meinem Gegenüber mehr um die Beziehung. Mit den Jahren haben wir uns mehr und mehr daran gewöhnt, und wir können die Situationen nun besser einschätzen. Sicher verfolgen viele, die nicht an Jesus glauben, ihre eigenen Interessen. Dabei nutzen sie Ausländer vorsätzlich und bevorzugt aus und belügen sie – wenn es zum Beispiel um Einkaufspreise auf dem Markt geht. Aber gerade Menschen, die sich bewusst einer christlichen Gemeinde angeschlossen haben, zeigen ein anderes Verhalten. Sie umschreiben behutsam, was sie wollen. Und wir müssen lernen, „zwischen den Zeilen zu lesen“. Wir haben dieses Verhalten sehr schätzen gelernt und ordnen es meistens nicht mehr als Lüge ein, sondern als freundschaftliche Nächstenliebe, denn wir erleben und wissen, dass die Beziehung über der Sache steht. Und ob ich ein Bett nun drei Monate früher oder später habe, ist mir heute, nach zehn Jahren in Ecuador, auch ziemlich egal. Heiko Erndwein l Holzschnitzerei im Norden Ecuadors mithelfen: SPenDenCoDe 1640-32 ecuador
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