MISSION weltweit – Ausgaben 2018

19 das empfehlen wir mission weltweit 11–12/2018 Zeiten und unter besonderen Umständen umgehen können, ohne Schaden zu nehmen. Das erinnert auf den ersten Blick an die Heiligkeitsgesetze der Bibel, in denen sich ebenfalls nur die Priester unter bestimmten Voraussetzungen und zu bestimmten Zeiten Gott nahen durften, ohne Schaden zu nehmen (3. Mose 10; 16–17,9; 4. Mose 16–18). Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass (1.) diese Ordnungen von Gott gegeben worden sind, dass sie (2.) öffentlich und bekannt sind und dass sich (3.) alle daran halten müssen. Es geht nicht um die Macht einer bestimmten Gruppe oder Klasse, sondern um die Weise, wie sich Einzelne und das Volk als Ganzes ihrem Gott gegenüber verhalten sollen, mit dem sie einen Bund geschlossen haben. Der biblische Gott offenbart sich als Schöpfer, Retter, Erlöser und Richter. Er offenbart seinen Willen und beschränkt so die Macht der Eliten. Es gibt darum keine Tabus in der Bibel, wohl aber Beschränkungen von Freiheit und Willkür, die im Wesen Gottes ihre Ursache haben. Die religionswissenschaftliche Diskussion ist für die alltagssprachliche Verwendung von „Tabu“ jedoch ohne großen Einfluss. Wenn das Wort in der Zeitung, im Gespräch, in Predigten oder sonstigen Äußerungen vorkommt, dann macht sich kaum jemand die Mühe nachzusehen, was das Wort eigentlich bedeutet. Dieses merkwürdige Verhältnis zwischen Alltagswort und Unklarheit gehört damit zum eigentlichen Kennzeichen von Tabus. Sie kommen meist dann ins Spiel, wenn entweder etwas Unklares oder etwas Strittiges benannt oder eben gerade nicht benannt werden soll. Dabei ist es nicht entscheidend, ob das Wort Tabu überhaupt verwendet wird, weil wir alle Sprechsituationen kennen, in denen das, was mit Tabu bezeichnet wird, stillschweigend vorausgesetzt ist. Das zeigt das folgende Beispiel: Mutter: „Das macht man nicht.“ – Kind: „Warum nicht?“ – Mutter: „Darum nicht.“ Viele werden solche Situationen erlebt haben. Das Verblüffendste daran ist, dass so ein Dialog oft funktioniert, zumindest für eine begrenzte Zeit. Das Kind akzeptiert die Autorität der Mutter und gehorcht, ohne zunächst eine Begründung zu verlangen. Auf Dauer wird das nicht gelingen: Das Kind will eine Erklärung und verstehen, warum es Dinge gibt, die „man“ macht oder eben nicht macht, sagt oder eben nicht sagt. Es will selbst entscheiden können, welche Regeln gelten, und es wird häufig Regeln übertreten, um zu sehen, ob sie wirklich gelten (was dann im weitesten Sinn Tabuverletzungen wären). Das andere, das dieses kleine Beispiel lehrt, ist der Verweis auf „man“ – eine anonyme Größe, der aber im Gespräch regulative Fähigkeiten zugesprochen werden und das heißt Macht. Aber diese Macht ausübende Größe bleibt unbestimmt: Es sind nicht die Eltern, die nicht wollen, dass ihr Kind dies oder jenes tut oder nicht tut, es ist nicht die Polizei, die dies oder jenes verbietet, oder das geltende Gesetz, sondern „man“. Darum unterscheiden wir in der Regel auch, wenngleich wohl meist unterbewusst, ob wir „man-Sätze“ machen und ob wir eindeutig formulieren: „Es ist verboten, bei Rot über eine Ampel zu fahren“ ist üblicher als „man fährt nicht bei Rot über die Ampel.“ Der Grund für den Unterschied liegt in der Eindeutigkeit. Es ist verboten, und weil das Verbot mehrheitsfähig als sinnvoll gilt, wird es auch weitgehend akzeptiert und anderen eingeschärft. Dagegen könnte der obige kleine Dialog seinen Auslöser darin gehabt haben, dass sich das Kind in der Öffentlichkeit ausgezogen und zum Beispiel den Po gezeigt hat. Das ist nicht verboten, aber „man“ macht es eben dennoch nicht (zumindest nicht im westlichen Kulturkreis). Aber wie soll die Mutter das erklären? Wir zeigen unser Gesicht, unsere Hände, Arme, Beine, Füße, manchmal auch Schultern und Bauch, aber eben nicht unbedingt unseren Hintern. Dafür lassen sich zwar allerlei Gründe angeben, aber die überzeugen alle nicht (nicht zuletzt, weil es Kulturen gibt und gab, die keinerlei Probleme mit dieser Form von Nacktheit haben oder hatten) und sind „kompliziert“, was nichts anderes besagt, als dass wir es selbst nicht genau wissen. Aber es fühlt sich „richtig“ an, darum halten wir uns daran; darum vermitteln wir es unseren Kindern; aber wir sprechen ungern darüber. Wie wir mit unserem Körper umgehen und was wir mit ihm oder bestimmten Körperteilen machen oder eben nicht machen, ist eines der Felder, wo wir Tabus meist ohne Weiteres respektieren – was den bewussten Tabubruch nicht ausschließt, sondern überhaupt erst ermöglicht. Der andere Bereich, damit zusammenhängend, sind Essgewohnheiten. „Das kann man doch nicht essen“ – ist oft eine erste Reaktion, wenn wir hören, was andere ganz selbstverständlich zu sich nehmen. Es scheint in der Tat sehr willkürlich zu sein: Viele essen Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, ohne groß nachzudenken. Aber sie zucken zusammen, wenn es Pferdefleisch gibt. Wir essen Rebhühner, aber keine Raben, Kaninchen, aber keine Eichhörnchen usw. Vielleicht liegt es schlicht daran, dass das eine schmeckt und das andere nicht, aber Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und wir wissen intuitiv (noch so ein Wort, das ein Verhalten bestimmt, das wir nicht wirklich begründen können, obwohl es uns persönlich einleuchtet), dass dies nicht der alleinige Grund ist, warum manche Tiere auf dem Speiseplan stehen und andere nicht. Weil wir aber möchten, dass auch die Menschen, mit denen wir es im Alltag zu tun haben und die uns womöglich zum Essen einladen, so handeln, darum bestätigen wir diese Tabus. Das tun wir, indem wir vor anderen sagen: „So etwas isst man nicht.“ Je mehr Menschen sich davon beeindrucken lassen, desto geringer wird die Gefahr, dass mir etwas zum Essen vorgesetzt wird, vor dem ich Abneigung oder gar Abscheu empfinde. Missionare und kulinarisch interessierte Fernreisende zeigen, dass sich solche Einstellungen verändern können – plötzlich schmecken einem Dinge, vor denen man sich früher geekelt hätte. Der dritte Bereich, ebenfalls eng mit dem Körper verbunden, ist der Bereich der menschlichen Sexualität. Auch da wurde – in der Vergangenheit sicher sehr viel stärker als in der Gegenwart – das erwartete sexuelle Verhalten mit „das macht man nicht“ weiterdenken >> sonderbeitrag von prof. Dr. Roland deines foto: istockphoto.com/inkout Der biblische Gott offenbart sich als Schöpfer, Retter, Erlöser und Richter. Er offenbart seinen Willen und beschränkt so die Macht der Eliten. Es gibt darum keine Tabus in der Bibel, wohl aber Beschränkungen von Freiheit und Willkür, die im Wesen Gottes ihre Ursache haben.

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