MISSION weltweit – Ausgaben 2018

20 WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG VON DR. FRIEDEMANN BURKHARDT Mission: Quelle für lebendiges Christsein Die vielleicht stärkste und tiefste Begründung der Mission liefert Paulus im letzten Satz seiner missionstheologischen Ausführungen im 1. Korintherbrief. Dieser Abschnitt in 1Kor 9 ist eine Art Exkurs in der Diskussion eines theologischen Sachverhalts und steht zwischen 1Kor 8 und 1Kor 10,14ff. Er hat die Funktion einer Begründung oder Orientierung bei der Erörterung der Frage, was Rücksichtnahme auf andere Christen bedeutet, die sich durch moralische Bedenken beim Verzehr von Götzenopferfleisch belastet fühlen. Denn Offenheit und Rücksicht auf andere sind die Werte, die die Weitergabe des Glaubens mit dem Inhalt des Evangeliums in Einklang bringen. Sie erwachsen aus der grundlegenden Glaubenseinsicht, dass die mir von Gott geschenkte Rechtfertigung nur dort wirksam bleibt und ihr Potenzial entfalten kann, wo ich allen Heilsegoismus aufgebe und in dem Gott, der „für mich“ ist, den Gott entdecke, der genauso „für die anderen“ ist. Gott ist ein Gott, der „für uns“ ist (Röm 8,31f) und der sich nicht ohne seine Liebe zur Welt und Menschheit als Ganzes haben lässt. Wenn nun Paulus seine kleine Missionstheologie mit dem Satz beschließt: „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich seiner teilhaftig werde“ (1Kor 9,23; vgl. Röm 1,11f), zeigt er: Das eigene Bemühen um ein immer tieferes theologisches Verstehen des Evangeliums von Gottes grenzenloser Liebe und das persönliche Hingehen zu den Menschen und Einlassen auf ihr Leben, weil sie wie ich von Gott geliebt sind, verbinden sich zur Quelle für lebendiges Christsein. Missionarisches Leben ist der Weg, auf dem sich Wesen, Inhalt und Praxis christlichen Lebens erschließt. Liebe und Freude, Friede und Vergebung, Güte und Freundlichkeit als Früchte eines durch den Geist Gottes geleiteten Lebens (Gal 5,22) werden genährt und wachsen, wo wir sie an andere weitergeben. Für Paulus entwickelt sich das Verständnis über Auftrag, Vision und Ziel des Christseins da am stärksten, wo es mit anderen geteilt wird. Darum ist Mission geradezu die „Mutter der Theologie“ (Martin Kähler). Indem wir unseren Glauben bezeugen, wird er uns immer tiefere theologische Einsichten erschließen. 2. Was bedeutet Mission heute? Mission ist ein junger Begriff der christlichen Glaubenstraditionundkamerst im16. Jahr- hundert auf. Er wurde aus dem lateinischen Wort „missio“ (Sendung) gebildetundbeschriebzunächstdiePraxis der Gewinnung von Nichtchristen für den christlichen Glauben. Eine grundsätzliche Bestimmung Ich möchte Mission in drei Be- deutungsfelder gliedern: l ImZentrumsteht der Auftrag von Jesus Christus als eine Sendung aller Christen in die Mission, ihn allen Menschen zu bezeugen (Mt 28,19f) und die Welt zur Versöhnung mit Gott einzuladen (2Kor 5,18–20). l Ein weiteres Bedeutungsfeld beschreibt die Grundlage von Mission als die Vision einer universalen Heilsbedeutung von Jesus Christus für die Welt (Apg 4,12). Sie gründet in Gottes grenzenloser Liebe und seinem Gnadenhandeln (Joh 3,16; 10,16). l Schließlich handelt Mission von ihrem Ziel, nämlich der Praxis einer Kirche in Mission durch eine grenzüberschreitende, interkulturelle Kommunikation des Evangeliums von Jesus Christus (Apg 1,8). Diese Anwendungsebene von Mission lässt sich noch einmal dreifach unterteilen: l Erstens als Evangelisation durch den Ruf zur Umkehr und die Einladung zum Glauben (Röm 1,14f; Apg 4,20; 1Kor 9,19-23). l Zweitens als Sammlung der Gemeinschaft der Gläubigen durch Gemeindeneugründungen und die Erneuerung bestehender Gemeinden (Apg 2,42-47; Gal 3,28). l Und drittens als Zusammenwirken mit dem jeweiligen Lebensumfeld zur Ausbildung einer spezifischen Gestalt christlichen Gemeinschaftslebens (1Kor 9,18-23). Dies geschieht im Bewusstsein der Verbundenheit mit Kirchen und Gemeinden, die anders gestaltet sind, und im Wissen um die Aufgabe: Alle verbindlichen Orientierungsnormen für christliches Leben sind im Gespräch auszuhandeln. Dabei stehen sie im Spannungsfeld zwischen universalen und partikularen Bedürfnissen und Interessen. Das außereuropäische Christentum in Europa wahrnehmen Die Flüchtlingswelle 2015 gab den Folgen von Globalisierung, Migration und demografischem Wandel ein Gesicht, das Angst macht und Gewalt und Fremdenfeindlichkeit schürt. Viele erwarten von Kirchen und Gemeinden Orientierung. Dass die Liebenzeller Mission „Missionarischen Gemeindebau in einer multikulturellen Gesellschaft“ als ersten von vier Strategieschwerpunkten für die Jahre 2017 bis 2022 bestimmte, ist sicher auch diesen Entwick- lungen geschuldet. Aber es hat auch mit ihrem Missionsverständnis zu tun. Als deutscher Zweig von Hudson Taylors China-Inland-Mission ist ihr die Sensibilität für andere Kulturen in die Wiege gelegt. Das spiegelt sich darin wieder, dass ihre Hochschule Missionswissenschaft als Interkulturelle Theologie versteht. Die Interkulturelle Theologie weist nun seit Jahren darauf hin, dass in Städten und immer häufi- ger in Dörfern an einem gewöhnlichen Sonntag eine wachsende Zahl von Christen aus Afrika, Asien und Lateinamerika eigene Indem wir unseren Glauben bezeugen, wird er uns immer tiefere theologische Einsichten erschließen. FOTO: ISTOCKPHOTO/LIUDMYLA SUPYNSKA

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