MISSION weltweit – Ausgaben 2016

6 DArUM GeHt’S iNterkUltUrelle teAMS DeUtScHlAND In Deutschland sind wir heute mehr denn je mit Menschen fremder Herkunft konfrontiert. Dabei gehen wir oft unbewusst davon aus, dass alle so denken, empfinden, kommunizieren und leben wie wir. Und wir haben oft die Einstellung, dass sich fremde Menschen schnell anpassen und integrieren können sollten. Im Vergleich verschiedener Kulturen fällt auf: Die größten Unterschiede sind da, wo „westliche Denkweisen“ und „nichtwestliche Denkweisen“ aufeinandertreffen. Beides sind feststehende Begriffe in der Anthropologie*. Seit einigen Jahren bin ich unter Japanern tätig, die als Studenten oder Geschäftsleute in Europa wohnen. Hier habe ich täglich Anschauungsunterricht auf dem Gebiet unterschiedlicher Denkweisen. Aber auch diese Japaner selbst empfinden ihr Leben hier als ein stetiges Spannungsfeld verschiedener Mentalitäten, welche letztlich bis in die kleinen Dinge des Alltags hinein ihre Auswirkungen haben. Ein Beispiel mag dies erläutern: Japaner reisen gern mit dem Zug. Beim Umsteigen auf einem Bahnhof ist die Zeit für einen Japaner etwas knapp geworden, und er eilt mit seinem Koffer zum anderen Bahnsteig. Es klingelt zur Abfahrt, als er noch auf der Treppe ist. Die Türen haben sich bereits geschlossen, und der Zug setzt sich ohne ihn in Bewegung. Sofort zeichnet sich auf seinem abgehetzten Gesicht ein breites Grinsen ab. „Worüber freut er sich wohl?“, mögen wir denken. Nein, er freut sich nicht, sondern er schämt sich zutiefst, weil er gerade eben vor den Augen vieler anderer Zugreisenden einen Misserfolg hatte und sich zum Schauspiel gemacht hat – so jedenfalls empfindet er es selbst. Ein peinliches Lächeln! Japaner und andere Asiaten zeigen Schamempfinden in der Öffentlichkeit meist mit einem unübersehbaren „peinlichen Lächeln“. Die äußere Form scheint Freude auszudrücken, das tatsächliche Empfinden ist Scham! Wo liegen die Gründe für solch ein Verhalten? Japaner haben wie alle Asiaten eine Mentalität, die vom „Kollektiv“ geprägt ist. Man lebt in der Gruppe. Man denkt nicht individualistisch. Man will als Einzelner nicht auffallen, im Gegenteil: Das Grundbestreben des Zusammenlebens ist Martin Meyer arbeitet seit 2009 unter Japanern in europa, schwerpunktmäßig in Deutschland und der Schweiz. Seine Frauruth ist Bürokauffrau. Sie haben drei erwachsene kinder. Martin ist als Missionarskind in Japan aufgewachsen. Nach dem Abitur Ausbildung am theologischen Seminar der liebenzeller Mission, später Studienabschluss an der columbia international University. Von 1985 bis 1998 war Familie Meyer im Missionsdienst in Japan, u. a. in der leitung des Freizeitheims in okutama. Danach Missionsreferent in Süddeutschland und Gemeinschaftsarbeit. Hazukashii: Das ist zum Sich schämen zu müssen ist peinlich, keine Frage. Doch je nach kulturkreis gibt es entscheidende Unterschiede, wofür man sich schämt oder nicht schämt, was der Auslöser für Scham ist und wie sich diese äußert. * Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung (Duden) Asiaten haben ein völlig anderes Schamempfinden als Europäer. Foto: toBias sCHuCKeRt

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzg4OTA=