MISSION weltweit – Ausgaben 2016

20 haft, lässt uns aber wieder Raum und Kraft, Verantwortung für das Machbare zu übernehmen. Nach Verlusterfahrungen ist es oft natürlich, pessimistisch in die Zukunft zu schauen. Ein Gefühl der gelernten Hilflosigkeit will uns suggerieren, dass wir ja eh nichts machen können. Bei resilien- ten Menschen setzt sich dann irgendwann aber wieder eine optimistische Lebenseinstellung durch. Krisen sind in dieser neuen Sichtweise nicht unüber- windliche Hindernisse, sondern Übergangszeiten. Einer der wichtigsten Resilienzfaktoren ist das Eingebundensein in gute zwischenmenschliche Beziehungen. Freunde, Familie und Gemeindemitglieder bieten emotionale Unterstützung und geben uns das Gefühl, nicht alleine dazustehen. Viele Menschen packen auch tatkräftig an bei der Linderung von materieller oder organisatorischer Not. Mit dieser kleinen Auflistung ist die Zahl der wissenschaftlich nachgewiesenen Resilienzfaktoren nicht vollständig. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf eine Facette von Resilienz lenken, die in den einschlägigen Veröffentlichungen bisher nur am Rande erwähnt wurde – die Dankbarkeit. Jede Woche lese ich auf der letzten Seite der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ die Rubrik „Was mein Leben reicher macht“. Fast immer bin ich positiv berührt und selbst bereichert von den kurzen Statements der ZEIT-Leser, die andere an ihren Dankbarkeitserfahrungen teilhaben lassen. Doch in der letzten Woche musste ich erst einmal schlucken, als ich folgenden Beitrag einer Frau aus Süddeutschland las: „Mein Mann hat sich Hals über Kopf und ganz endgültig von mir getrennt. Er hat eine neue Partnerin, und ich bin nun allein mit unseren vier Kindern zwischen 0 und 7 Jahren und einem riesigen Berg Sorgen. Aber ich erfahre so viel Unterstützung und Hilfe von Freunden, Bekannten und Verwandten, bekomme so viele nette Gesten, spontane Besuche und liebe Worte, dass ich fast reicher bin als vorher.“ Wie, so fragte ich mich, kann ein Mensch in einer derart schwierigen Lebenssituation eine positive Sichtweise entwickeln und fast noch von einer Bereicherung sprechen? Ist eine Trennung vom Ehepartner nicht mit so vielen finanziellen, organisatorischen und emotionalen Problemen verbunden, dass eher Klage und Verbitterung die Folge sein müssten? Im Zuge meiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema Dankbarkeit habe ich darüber nachgedacht, ob und wie Dankbarkeit auch in den schwierigen Situationen unseres Lebens möglich ist. Die Fähigkeit, Lebenskrisen zu überstehen Um es gleich vorauszuschicken: Leiden und existenzielle Not führen selbstverständlich nicht automatisch zur Dankbarkeit, sondern viel eher zu Angst, Verzweiflung und Trauer. Das ist normal und in einem gewissen Sinne notwendig. Auch die oben erwähnte Frau berichtet von „einem riesigen Berg Sorgen“. Das Nachdenken über Dankbarkeit soll nicht dazu verleiten, berechtigte negative Gefühle und Selbstzweifel zu übergehen. Dennoch hat in den vergangenen Jahren ein psychologisches Konzept viel Aufmerksamkeit erregt, das sich mit positiven Wachstumsprozessen gerade inmitten der Widrigkeiten des Lebens beschäftigt. Das Konzept der Resilienz bezeichnet eine Widerstandsfähigkeit von Menschen, Lebenskrisen wie schwere Krankheit oder den Verlust von geliebten Personen durchzustehen und vielleicht gestärkt oder doch zumindest stabil daraus hervorzugehen. Viele psychologische Studien haben versucht, das Geheimnis der Resilienz zu lüften und zu verstehen, wie Menschen tatsächlich auch in schweren Krisen nach einiger Zeit festen Boden unter den Füßen bekommen. Dabei sind sie immer wieder auf ähnliche Einstellungen und Verhaltensweisen gestoßen, die als Resilienzfaktoren bezeichnet werden können. Resilienzfaktoren Dazu zählen beispielsweise Akzeptanz und Optimismus: Wenn wir die Folgen eines Schicksalsschlags nicht mehr verändern können, dann ist es unausweichlich, die neue Situation zu akzeptieren. Diese bedeutet keinesfalls, die Situation – etwa eine Trennung oder eine schlimme Krankheit – gutzuheißen oder die Hände in den Schoß zu legen. Es ist eine Haltung des radikalen Annehmens von unabänderlichen Dingen, zum Beispiel einer endgültigen Trennung. Es ist, wie es ist. Dies ist zwar schmerzWeil Schicksalsschläge unseren Blick vom Guten im Leben abwenden, ist es wichtig, gerade in diesen Zeiten schon auf eine dankbare Grundhaltung zurückgreifen zu können. Dankbarkeit für Fortgeschrittene Der Beitrag von Prof. Dr. Henning Freund ist dem „Ideenheft – Jahr der Dankbarkeit“ entnommen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des SCM Bundes-Verlags gGmbH, Witten. Viele Praxisideen und Gedanken zum Jahr der Dankbarkeit finden Sie unter www.jahr-der-dankbarkeit.net weiterdenken >> gastbeitrAg von henning freund Gast- beitrag von Henning Freund Wie Dankbarkeit auch in schwierigen Situationen möglich ist

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