MISSION weltweit – Ausgaben 2016

19 miSSion weltweit 9–10/2016 INTEGrATION KONKrET >> DeutSChlAnD Willkommenskultur. Und direkt danach: Angst. Wie? Angst? Ja, Angst. Angst im Osten: „Was wird nun aus uns? Werden wir arbeitslos? Ist unsere Heimat bald nicht mehr so, wie wir sie kennen? Werden die Wessis nicht auf uns runterschauen?“ Und Angst im Westen: „Schaffen wir das? Hat sich der Kohl da nicht übernommen? Nutzen die Ossis uns nicht nur aus? Sind doch selbst schuld.“ Angst vor „den Fremden“ war die hinderlichste Mauer zwischen Ost und West. Sie war nicht nur zwischen Ost und West, sondern kam sowohl aus Ost wie aus West. Wo Einzelne diese Angst überwunden haben und Kontakt zu „den Fremden“ suchten, wurde die Mauer in den Köpfen abgetragen. Als wir knapp 15 Jahre nach der Wende in den Berliner Osten zogen, war die Mauer in der Stadt nur noch ein buntes Fotomotiv an der Spree. Löchrig, bunt bemalt und zweckentfremdet zum Guten. Und die Mauer in den Herzen sah ähnlich aus: Ein paar Reste haben wir bei den neuen Nachbarn und uns entdeckt. Bunt bemalt und weitgehend zweckentfremdet. Weil unzählige Ossis ihre Angst überwunden und Wessis kennengelernt haben. Und umgekehrt. Mit jeder mutigen Einzelbegegnung wurde ein Stück Angst-Mauer abgetragen. Mit jeder neuen Ost-West-Freundschaft wurde die Mauer durchlässiger. Okay, es gab auch ein paar weniger erfolgreiche Begegnungen, aber das gehört dazu. Heute sind wir ein Volk: ein buntes, ein anderes als 1989, aber ein bemerkenswertes. Die Mauer der Angst vor den Unbekannten wurde überwunden. Integration gelang. Und dann kam der Herbst 2015 Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten. Verängstigte Menschen auf der Balkan-Route. Die Flüchtlingswelle rollte über Deutschland und hat uns in Berlin quasi über Nacht unzählige Flüchtlingsunterkünfte beschert. Wieder strömten tausende Deutsche. Diesmal zu den Flüchtlingsheimen. Voll Freude, Jubel, „Refugees Welcome“. Willkommenskultur. Und direkt danach? Ganz Ähnliches wie 1989: „Schaffen wir das? Hat die Merkel sich da nicht Die mauer muss weg! natürlich muss ein Artikel aus berlin den mauerfall enthalten. Am besten in der Überschrift. Das war ja auch was, damals! Als die Welt aus den fugen geriet. tauwetter im kalten krieg einsetzte. Als die mauer auf und die jubelbilder vom brandenburger tor um die Welt gingen. freude, jubel, trabbi-hupe. übernommen? Gibt es unsere Heimat bald nicht mehr, so wie wir sie kennen? Kann Integration gelingen?“ Angst schleicht sich ein. Ich kenne die Fragen nur zu gut. Wir bekamen eine Flüchtlingsunterkunft mit 600 Bewohnern in die direkte Nachbarschaft unserer Gemeinde. Und im Stadtteil wurden genau diese Fragen diskutiert. Nicht böswillig. Nicht lieblos oder menschenverachtend, sondern besorgt und verunsichert. Eben mit Angst. Ich glaube, dass Angst der Hauptgrund für misslungene Integration ist. Und die Angst steht wie eine Mauer zwischen beiden Seiten: Flüchtlinge kommen verunsichert nach Deutschland, und wir sind verunsichert durch die Unbekannten aus anderen Kulturen. Die Mauer muss weg! Ein persönlicher Tipp für gelingende Integration: Wen kennen Sie, der sich unter Flüchtlingen engagiert? Ein Nachbar oder Kollege oder eine Initiative in der Nähe? Meist kann man auch bei Unterkünften direkt anrufen. Lassen Sie sich doch einmal mitnehmen und seien Sie überrascht von der (zu Beginn meist scheuen) Freundlichkeit und Gastfreundschaft. Und bitten Sie Gott, dass er Ihnen vielleicht „Ihren Flüchtling“ zeigt, dem Sie helfen können und durch dessen Erfahrungsschatz Ihr eigenes Leben bereichert wird. Dirk Farr l Dirk und Angelika Farr haben drei kinder und leben seit 2006 in berlin. Dort haben sie eine Gemeinde für konfessionslose gegründet, die sich zu einer multikulturellen Gemeinde weiterentwickelt. neben der teamleitung im bereich Gemeindegründung koordinierte Dirk ehrenamtlich ein flüchtlingshelfer-netzwerk in seinem Stadtteil treptow. Derzeit ist er zu Weiterbildungen in toronto/ kanada. vor seiner Ausbildung am theologischen Seminar der liebenzeller mission war Dirk orthopädiemechaniker, Angelika ist Sozialpädagogin. mithelfen: SPenDenCoDe 106-32 Deutschland Foto: monika Weinmann

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