MISSION weltweit – Ausgaben 2016

10 DArum Geht’S mikroneSien Foto: Hartmut unD urte SCHerer An der Pacific Islands University (PIU), an der wir als theologische Lehrer unterrichten, treffen verschiedene Denkweisen und Wertvorstellungen aufeinander. Um die amerikanische Akkreditierung des Colleges nicht zu gefährden, müssen die westlichen Standards eingehalten werden. Uns und vielen amerikanischen Lehrern sind solche Regeln vertraut: Es darf bei Prüfungen nicht gepfuscht werden. Nur wer den vorgeschriebenen Notendurchschnitt erreicht, wird für bestimmte Stipendien berücksichtigt. Das verstehen auch die Mikronesier, die bei uns die Mehrzahl der Studenten ausmachen. Auch sie wundern sich, wenn eine lokale Institution ein Stipendium gewährt für einen Studenten, der gar keinen Antrag ausgefüllt hat. Wenn der Notendurchschnitt nicht erreicht wurde und trotzdem Zuschüsse gegeben werden, dann finden das auch Einheimische nicht mehr richtig. Sie wissen aber, dass sie das nicht ändern können. Denn Beziehungen gehen vor. Man möchte mit seinen Mitmenschen im Frieden leben und riskiert keine Konfrontation. Dafür nimmt man die ungerechte Bevorzugung des anderen in Kauf, auch wenn es einen ärgert. Diese Scheu vor Konflikten kann der ganzen Schule Nachteile bringen: Lecke Stellen in der Wasserleitung werden geflissentlich ignoriert und die Wasserrechnung steigt. Selten wird gemeldet, wenn ein Computer in der Bibliothek defekt ist – man geht einfach an den nächsten, der noch funktioniert. Kaum einer traut sich, einen Schaden ans Licht zu bringen, denn zu schnell wird der Rückschluss gezogen, dass gerade derjenige, der sich äußert, selbst das Problem verursacht hat. Er will keinen Streit. Also wird geschwiegen, und man kann jedem mit einem Lächeln begegnen, als wäre nichts gewesen. Das Harmoniebedürfnis zu erhalten ist wichtiger, als Kosten zu sparen oder jemanden aus der eigenen Gruppe der Mitstudenten bloßzustellen. Wie man ehrlich antwortet Bei Absprachen kann das schwierig werden. Wie kann eine Ablehnung in einer kulturell sehr unterschiedlichen Gruppe überhaupt artikuliert werden, ohne den anderen vor den Kopf zu stoßen? Ein klares Nein wird selten als solches präsentiert. Stellen Mikronesier Fragen zu einem Vorschlag, deutet das oft schon auf eine fehlende Zustimmung hin. Termine werden immer wieder verschoben. Deswegen brauchen Absprachen, die von allen Seiten mitgetragen werden, sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Neben dem gesprochenen Wort ist die nonverbale Kommunikation aufschlussreich; man muss nur lernen, die Zeichen richtig zu interpretieren, die Einverständnis oder Ablehnung signalisieren. Ist zum Beispiel keine Einigung in Sicht, kommt es vor, dass Mikronesier (für uns) überraschend nicht zu erreichen sind, in der entscheidenden Sitzung fehlen und damit gar nicht erst an der kritischen Abstimmung teilnehmen müssen. So konnten sie ihrer Überzeugung treu bleiben und haben keinen beleidigt. Es war eine ehrliche Antwort, dass sie den Vorschlag nicht unterstützen. Auch nach vielen Jahren in Mikronesien sind wir immer noch dabei, diese „Zeichensprache“ zu lernen und selbst kreativ anzuwenden, sodass wir „die Wahrheit in Liebe sagen können“ (Epheser 4,15) – manchmal auch ohne Worte. Herzlichen Dank, wenn Sie uns weiterhin im Gebet bei diesem Prozess unterstützen, damit die Beziehungen zwischen Kollegen und Studenten, und vor allem zu unserem Herrn, aufrichtig und aufbauend geführt werden können. Hartmut und Urte Scherer l Hartmut und Urte Scherer sind seit 1997 missionare in mikronesien, zunächst auf Chuuk, jetzt auf Guam. beide haben die Ausbildung am theologischen Seminar der liebenzeller mission absolviert. Zuvor war hartmut als ingenieur im fahrzeugbau tätig, urte als Dipl.-finanzwirtin (fh). beide sind jetzt Dozenten an der theologischen universität mikronesien (piu). Die Zeichensprache Was tun in kniffligen Situationen, wenn die harmonie über allem steht? hartmut und urte Scherer erklären, welcher mittel sich mikronesier bedienen. Student in der Bibliothek mithelfen: SPenDenCoDe 1335-32 mikronesien

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