„In Russland nur zweimal Gegenwind erlebt“

Nach fast 20-jäh­ri­ger Tätig­keit als Mis­sio­nar in Russ­land wech­selt Wal­de­mar Jes­se als Gemein­schafts­pas­tor nach Iller­tis­sen und Balz­heim. Wir spra­chen mit ihm, wie sich die Mis­si­ons­ar­beit in Russ­land ver­än­dert hat und was ihm feh­len wird.

Wal­de­mar, was waren dei­ne Auf­ga­ben in Russland?
Zuerst war ich von 2001 bis 2006 in Jeka­te­rin­burg tätig, einer Stadt mit rund 1,4 Mil­lio­nen Ein­woh­nern, um eine Gemein­de zu grün­den. Danach war ich fünf Jah­re in der Prob­st­ar­beit ver­gleich­bar als Dekan enga­giert. Dabei habe ich vor allem Mit­ar­bei­ter betreut und geschult. Außer­dem war ich an der Grün­dung zwei­er wei­te­rer Gemein­den betei­ligt. 2012 wech­sel­te ich nach Tschel­ja­b­insk, das rund 1,1 Mil­lio­nen Ein­woh­ner zählt und etwa 200 Kilo­me­ter von Jeka­te­rin­burg ent­fernt ist. Dort fand ich zwei Gemein­den mit einer lan­gen Geschich­te vor, die auch ein Kir­chen­ge­bäu­de hat­ten – es fehl­ten aber die Mit­ar­bei­ter. Mei­ne Haupt­auf­ga­be bestand dar­in, Mit­ar­bei­ter zu fin­den, zu schu­len und zu befä­hi­gen, dass sie eigen­stän­dig Diens­te über­neh­men kön­nen. Der deutsch­spra­chi­gen Gemein­de gehör­ten rund 15 sehr älte­re Per­so­nen an. Die rus­sisch­spra­chi­ge umfass­te etwa 30 Mit­glie­der unter­schied­li­cher Natio­na­li­tä­ten. Was auch fehl­te, waren Kin­der und Jugend­li­che. Wir haben uns in ers­ter Linie auf die rus­sisch­spra­chi­ge Gemein­de kon­zen­triert, denn das war die Zukunft. Wir bau­ten eine Kinder‑, Jugend- und Frau­en­ar­beit und wei­te­re Krei­se auf, um die Gemein­de zu för­dern und zu stär­ken. Am Ende kamen bis zu 80 Besu­cher aus allen Alters­grup­pen in die Gottesdienste.

Bei Russ­land den­ke ich an ein unfass­bar gro­ßes Land …
Die Lie­ben­zel­ler Mis­si­on arbei­tet im Ural­ge­biet, das fünf­mal grö­ßer als Deutsch­land ist. Dort betreu­ten wir zum Schluss 13 Gemein­den mit rund 700 Mit­glie­dern. Dabei muss­ten wir sehr gro­ße Ent­fer­nun­gen zurück­le­gen. Von mei­nem Wohn­ort bis zur weit ent­fern­tes­ten Gemein­de lagen über 600 Kilometer.

Wie hat sich die Gemein­de­ar­beit verändert?
Die Medi­en haben auch hier Ein­zug gehal­ten. So ist die Gemein­de inzwi­schen im Inter­net ver­tre­ten. Men­schen ver­su­chen wir mit ver­än­der­tem Lied­gut zu erreichen.

Was sind die beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen, vor denen die Mis­si­ons­ar­beit in Russ­land steht?
Es sind der Man­gel an qua­li­fi­zier­ten Mit­ar­bei­tern und die rie­si­gen Ent­fer­nun­gen. Es feh­len auch finan­zi­el­le Mit­tel, da es in Russ­land nicht die treu­en Mis­si­ons­freun­de gibt, die wie in Deutsch­land hin­ter der Arbeit ste­hen. Außer­dem gibt es vie­le Sucht­kran­ke. Und auch das Inter­es­se am Glau­ben, am Reli­giö­sen über­haupt nimmt ab.

Wie ist die Situa­ti­on der Chris­ten in Russ­land generell?
In den 19 Jah­ren in Russ­land haben wir nur zwei­mal Gegen­wind erlebt: Zum einen bei der Gemein­de­grün­dungs­ar­beit in Ber­jo­sow­ski von Schwes­ter Sabi­ne Mat­this. Als wir Räu­me eines Inva­li­den­ver­eins anmie­ten woll­ten, um dort sozi­al und mis­sio­na­risch tätig zu wer­den, hat der ört­li­che ortho­do­xe Pries­ter vehe­ment dage­gen pro­tes­tiert. Er warf der Lei­tung des Ver­eins vor, sie wür­de ihren Glau­ben ver­kau­fen und sich einer Sek­te öff­nen. Die Ver­ant­wort­li­chen des Ver­eins wider­spra­chen und haben den­noch die Räu­me an uns ver­mie­tet. Zum ande­ren erleb­ten wir Wider­stand beim Bau der Kir­che in Jeka­te­rin­burg. Dort hat­ten sich die Anwoh­ner des Parks hef­tig gegen eine Ansied­lung gewehrt. Das hat­te aber kei­ne reli­giö­sen Gründe.

Und wie ist das Ver­hält­nis zur domi­nie­ren­den ortho­do­xen Kirche?
Natür­lich hat die ortho­do­xe Kir­che in Russ­land eine beson­de­re Stel­lung und sie ver­sucht auch, eine Staats­kir­che zu wer­den. Sie wird auch vom Staat finan­zi­ell unter­stützt. Aber in dem Land gilt die Reli­gi­ons­frei­heit und als Evan­ge­li­sche Kir­che haben wir kei­nen Druck erlebt. Was aber allen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten zu schaf­fen mach­te, war das Mis­si­ons­ge­setz, das vor rund fünf Jah­ren erlas­sen wur­de. Dar­in wird klar gere­gelt, wie die evan­ge­lis­ti­sche Arbeit aus­se­hen darf. Da gibt es gewis­se Beschrän­kun­gen. Aber es gibt kein Ver­bot, das Evan­ge­li­um zu verbreiten.

Nun wech­selst du zum 1. Novem­ber zum Lie­ben­zel­ler Gemein­schafts­ver­band nach Iller­tis­sen und Balz­heim nach Fran­ken. Was sind dort dei­ne Aufgaben?
Ich betreue die bestehen­den Gemein­den und möch­te mis­sio­na­risch aktiv sein, um Außen­ste­hen­de zu errei­chen. Durch mei­ne Arbeit in Russ­land liegt mir beson­ders am Her­zen, Mit­ar­bei­ter zu schu­len und fort­zu­bil­den. Und ich wün­sche mir, dass wir sozi­al aktiv wer­den, um Akzen­te zu setzen.

Und was wird dir von Russ­land fehlen?
Das sind die Men­schen, die Bezie­hun­gen, die Gast­freund­schaft, die uner­mess­li­che Wei­te des Lan­des. Und es sind die Frei­hei­ten, die es so hier nicht gibt: In Deutsch­land ist alles geregelt.

Fast 20 Jah­re war Wal­de­mar Jes­se mit sei­ner Frau Katha­ri­na in Russ­land im Auf­trag der Lie­ben­zel­ler Mis­si­on tätig. Zu den Schwer­punk­ten ihrer Arbeit gehör­ten Gemein­de­grün­dung, Mis­si­on und Evan­ge­li­sa­ti­on sowie Schu­lung der Mit­ar­bei­ter. Durch TEE-Schu­lun­gen („Theo­lo­gi­cal Edu­ca­ti­on by Exten­si­on“ – außer­schu­li­sche theo­lo­gi­sche Aus­bil­dung) erhal­ten die Teil­neh­mer die Grund­la­gen des christ­li­chen Glau­bens ver­mit­telt und wer­den zur Mit­ar­beit in den Gemein­den vor­be­rei­tet. Zuletzt leb­te die Fami­lie in Tschel­ja­b­insk, rund 200 Kilo­me­ter von Jeka­te­rin­burg entfernt.

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