„Vor unserer Haustür werden Menschen gefoltert, versklavt und ausgebeutet“

Hun­dert­tau­sen­de Frau­en müs­sen in Deutsch­land als Zwangs­pro­sti­tu­ier­te arbei­ten. Dazu wer­den sie oft unter Gewalt aus ihren Hei­mat­län­dern ver­schleppt oder unter fal­schen Ver­spre­chun­gen hier­her gelockt. „Mis­si­on Free­dom“ mit Sitz in Ham­burg kämpft dage­gen an. Die haupt- und ehren­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter geben den Opfern des Men­schen­han­dels eine neue Per­spek­ti­ve für ihr Leben. Die IHL-Stu­den­tin Isa­bel­la Sum­me­rer absol­vier­te ein halb­jäh­ri­ges Prak­ti­kum bei der Orga­ni­sa­ti­on und berich­tet, was sie dort gemacht hat und wie Chris­ten den betrof­fe­nen Frau­en hel­fen können.

Isa­bel­la, wie kam es zu dem Praktikum? 
Der Stu­di­en­gang Theo­lo­gie und Sozia­le Arbeit der Inter­na­tio­na­len Hoch­schu­le Lie­ben­zell umfasst ein sechs­mo­na­ti­ges Prak­ti­kum in einer sozia­len Ein­rich­tung. Ich stell­te bei der Suche mei­ner Prak­ti­kums­stel­le drei Kri­te­ri­en auf: Es soll­te im Aus­land, im fünf­ten Semes­ter und auf kei­nen Fall eine Arbeit aus­schließ­lich mit Kin­dern oder Frau­en sein. Doch als ich dann durch einen Vor­trag von Gaby Went­land, der Grün­de­rin und Vor­stands­vor­sit­zen­den von „Mis­si­on Free­dom“, über Zwangs­pro­sti­tu­ti­on in Deutsch­land auf­merk­sam gemacht wur­de, änder­te sich mei­ne Ein­stel­lung schlag­ar­tig. Ich hät­te nie­mals gedacht, wie schlimm die Umstän­de für die meis­ten Pro­sti­tu­ier­ten bei uns im Land sind. Die gro­ße Mehr­heit ver­kauft sich aus per­sön­li­cher Not her­aus oder wird dazu gezwun­gen. Zu hören, dass qua­si direkt vor unse­rer Haus­tür Men­schen gefol­tert, ver­sklavt und aus­ge­beu­tet wer­den, beweg­te mich so sehr, dass ich unbe­dingt selbst aktiv wer­den woll­te. Zeit­punkt und Ort mei­nes Prak­ti­kums war mir plötz­lich über­haupt nicht mehr wich­tig. So kam es, dass ich in Ham­burg im Schutz­haus von „Mis­si­on Free­dom“ für Opfer aus dem Men­schen­han­del und sexu­el­ler Aus­beu­tung arbeitete.

Und war­um hast du dich für die­se schwe­re und belas­ten­de Arbeit entschieden? 
„Mis­si­on Free­dom“ ver­eint christ­li­che Wer­te und aktiv geleb­ten Glau­ben mit fach­li­cher Kom­pe­tenz. Mir war es wich­tig, nicht nur Erfah­run­gen in der Sozi­al­ar­beit zu sam­meln, son­dern auch die Hoff­nung Jesu und die Kraft des Gebets in die Arbeit mit­ein­flie­ßen las­sen zu kön­nen. Gera­de im Bereich Men­schen­han­del wird man mit grau­sa­men Wahr­hei­ten und Erfah­run­gen kon­fron­tiert. Schnell stößt man an sei­ne Gren­zen im per­sön­li­chen Umgang damit. Des­halb beein­druck­te mich umso mehr das fes­te Gott­ver­trau­en, mit dem das Team sich in unfass­bar fins­te­re The­men­be­rei­che wagt.

Was hast du in dei­nem Prak­ti­kum kon­kret gemacht?
Der Schwer­punkt mei­nes Prak­ti­kums lag auf der Betreu­ung der Kli­en­tin­nen im Schutz­haus-All­tag. Dazu gehör­te Bezie­hungs­auf­bau, Frei­zeit­ge­stal­tung, Sprach­un­ter­richt, Beglei­tung zu Ter­mi­nen (zum Bei­spiel zur The­ra­pie, ins Kran­ken­haus oder zu Ämtern), seel­sor­ger­li­che Gesprä­che, Unter­stüt­zung bei büro­kra­ti­schen Ange­le­gen­hei­ten, haus­wirt­schaft­li­che Tätig­kei­ten und Mit­ar­beit in der Öffent­lich­keits­ar­beit. Ziel dabei war immer, den Frau­en zu ver­mit­teln, dass sie wert­voll sind und ein Leben in Frei­heit ver­dient haben!

Was hat dich beson­ders bewegt bzw. berührt?
Mich hat es sehr bewegt zu sehen, wie schlimm die see­li­schen und kör­per­li­chen Fol­gen von sexu­el­ler Aus­beu­tung sind. Der äuße­re Aus­stieg ist erst der Anfang eines lang­wie­ri­gen, schmerz­haf­ten Hei­lungs­pro­zes­ses. Die Opfer müs­sen sich ihren schlim­men Trau­ma­ta stel­len, um es auf­zu­ar­bei­ten und gleich­zei­tig einen Umgang mit den kör­per­li­chen und see­li­schen Fol­gen fin­den. Bewegt hat es mich auch, ganz neu zu erken­nen, dass Jesus Chris­tus in das Elend die­ser Welt gekom­men ist. Er ist mit­ten im Leid, weil er sich selbst davon nicht ver­schont hat. Das unvor­stell­ba­re Opfer von Jesus am Kreuz ver­ste­he ich jetzt tie­fer als zuvor.

Wie kön­nen Chris­ten den Frau­en kon­kret helfen? 
Zum einen durch Auf­klä­rung. Chris­ten und Nicht-Chris­ten müs­sen sich den bedrü­cken­den Fak­ten stel­len und anfan­gen, sich zu infor­mie­ren. Das gesell­schaft­li­che Bild von Pro­sti­tu­ti­on und auch die Dar­stel­lung in vie­len Medi­en weicht enorm von der Rea­li­tät ab. Erst eine Auf­klä­rung der Gesell­schaft kann zu nach­hal­ti­gen Ver­än­de­run­gen füh­ren. Die Orga­ni­sa­ti­on A21 ver­an­stal­tet zum Bei­spiel regel­mä­ßig in Groß­städ­ten wie Stutt­gart einen „Walk for Free­dom“. Das ist eine Demons­tra­ti­on in Form eines Schwei­ge­mar­sches durch die jewei­li­ge Stadt, um Pas­san­ten auf das The­ma auf­merk­sam zu machen. Jeder kann dazu­kom­men und Teil davon sein! Chris­ten kön­nen zum ande­ren durch Gebet hel­fen. Es braucht vie­le treue Für­bit­ter, die für die Frau­en und Hel­fer beten. Zwangs­pro­sti­tu­ier­te brau­chen viel Mut und manch­mal auch ech­te Wun­der, dass sie frei­kom­men kön­nen. Wer ihnen hel­fen will, stößt nicht sel­ten auf ernst zu neh­men­den Wider­stand von Tätern und vie­len per­sön­li­chen Her­aus­for­de­run­gen bei der Arbeit. Betet für über­na­tür­li­chen Schutz und Weis­heit! Es benö­tigt meist vie­le Mit­ar­bei­ter aus unter­schied­lichs­ten Fach­ge­bie­ten, um allein einer Betrof­fe­nen zu hel­fen. Da die Schä­den der Gewalt­er­fah­run­gen meist außer­ge­wöhn­lich schwer und kom­plex sind, braucht es sehr zeit- und kos­ten­in­ten­si­ve Beglei­tung, um die­se ver­ar­bei­ten zu kön­nen. Chris­ten soll­ten fer­ner mit offe­nen Augen durch die Welt gehen. Christ­li­che Gemein­den könn­ten ein Street­work-Team star­ten, mit dem Ziel, hil­fe­su­chen­de Frau­en direkt in den Rot­licht­mi­lieus zu errei­chen. Aber Zwangs­pro­sti­tu­ti­on gibt es nicht nur in gro­ßen Städ­ten, son­dern ver­steckt sich auch im länd­li­chen Bereich, bei­spiels­wei­se in able­gen­den Häu­sern. Mei­ne Bit­te: Lasst uns unse­re Bli­cke von Gott schär­fen und in der Erwar­tung leben, dass er über­na­tür­li­che Begeg­nun­gen schenkt, wenn wir uns dar­auf einlassen.

Info:
Schät­zun­gen gehen davon aus, dass es etwa 400.000 Pro­sti­tu­ier­te in Deutsch­land gibt, wobei die Dun­kel­zif­fer um eini­ges grö­ßer ver­mu­tet wird. Prä­zi­se­re Anga­ben wer­den dadurch erschwert, dass vie­le Frau­en die­ser Tätig­keit neben­bei oder kurz­zei­tig nach­ge­hen. Laut Poli­zei sind rund 90 Pro­zent aller Pro­sti­tu­ier­ten Zwangs­pro­sti­tu­ier­te. Die Anzahl ihrer Kun­den in Deutsch­land wird auf täg­lich etwa 1,2 Mil­lio­nen geschätzt.

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