„Flüchtlinge sind Menschen wie du und ich“

Valen­tin Schlott stu­diert im fünf­ten Semes­ter Theo­lo­gie und Sozia­le Arbeit an der Inter­na­tio­na­len Hoch­schu­le Lie­ben­zell (IHL). Der 28-jäh­ri­ge Ess­lin­ger war von Ende Okto­ber bis Anfang Janu­ar auf der Insel Les­bos, um dort Geflüch­te­ten zu helfen.

Valen­tin, wie kam es zu dei­nem Einsatz?
Als 2015 die Flücht­lings­wel­le Deutsch­land erfass­te, war ich von den Gescheh­nis­sen zutiefst gerührt und ich wuss­te, dass ich den Men­schen unbe­dingt hel­fen möch­te. Schon zuvor hat­te ich 2011 bis 2012 ein hal­bes Jahr bei der Arbei­ter­wohl­fahrt mein Frei­wil­li­ges Sozia­les Jahr absol­viert, bei dem ich in Berüh­rung zu Men­schen gekom­men war, die ihre Hei­mat ver­las­sen muss­ten. Das The­ma hat­te mich seit­her nie ganz los­ge­las­sen und an den unter­schied­lichs­ten Stel­len mei­nes Lebens ein­ge­holt. 2016 hat­te ich in Ess­lin­gen dann die Mög­lich­keit, in ein inte­gra­ti­ves Wohn­pro­jekt vom Ver­ein Hilf­reich e. V. ein­zu­zie­hen, bei dem ich für zwei Jah­re mit Zuge­wan­der­ten, schluss­end­lich tie­fen Freun­den, zusam­men­woh­nen durf­te. Die Rei­se nach Les­bos fiel also „nicht aus hei­te­rem Him­mel“. Die Bil­der von Mal­ta und ande­ren Mit­tel­meer­in­seln, von über­füll­ten Boo­ten und geken­ter­ten Schif­fen haben immer wie­der den Wunsch in mir ent­facht, nicht nur in deut­scher Gebor­gen­heit mit anzu­pa­cken, son­dern dort zu sein, wo das Leid beson­ders groß ist. Außer­dem woll­te ich auch die Men­schen, mei­ne Freun­de, immer bes­ser ver­ste­hen ler­nen. Und dazu gehört es, in ihr Leben ein­zu­tau­chen. Das geht natür­lich nur begrenzt. Aber die Situa­ti­on auf Les­bos ist eine Situa­ti­on, wie sie vie­le Flücht­lin­ge in Deutsch­land durch­lau­fen haben. Und wer die Flücht­lin­ge in Deutsch­land ver­ste­hen will, darf auch die Augen nicht vor Mal­ta oder Les­bos oder ihrem Erle­ben noch viel frü­her auf ihrer Rei­se ver­schlie­ßen. Das Bes­te ist es, wenn man ein­fach selbst dort­hin geht. Dazu kam der Ruf von Gott für mich.

War­um gera­de nach Lesbos?
Mar­tin Kocher, Team­lei­ter „Mis­si­on und Inte­gra­ti­on“, hat­te bereits Kon­takt zu Andrea Wege­ner, die die ope­ra­ti­ve Lei­tung von Euro­Re­li­ef im Flücht­lings­la­ger Kara Tepe II inne­hat. Zudem waren bereits Teil­neh­mer des Kurz­ein­sät­ze-Pro­gramms „impact“ dort und haben im Lager mit­ge­hol­fen. So hat sich eine Türe nach der ande­ren geöff­net und mit ein biss­chen Geduld war es dann im Okto­ber 2020 soweit.

Was mach­test du dort?
Ich bin in dem gan­zen Gewim­mel einer von vie­len Frei­wil­li­gen, die dort ein­ge­setzt wer­den, wo sie am Drin­gends­ten gebraucht wer­den und wo sie ange­sichts ihrer Fähig­kei­ten gut auf­ge­ho­ben sind. In der ers­ten Zeit bin ich ein­fach mit­ge­lau­fen und habe sehr unter­schied­li­che Din­ge gemacht: Zel­te abbau­en, repa­rie­ren, Böden ver­le­gen. Außer­dem erhob ich Daten, indem ich von Zelt zu Zelt gelau­fen bin und nach Infor­ma­tio­nen gefragt habe, die Euro­Re­li­ef noch nicht vor­la­gen. Außer­dem half ich bei Umzü­gen mit und mach­te Boten­gän­ge. Eben­so ver­teil­te ich so genann­te Tickets – wenn Men­schen ein Hilfs­pa­ket von den UN bekom­men, erhal­ten sie zunächst ein Ticket, mit dem sie dann am UN-Zelt vor­bei­ge­hen und sich das Paket abho­len kön­nen. Ein gewich­ti­ger Teil mei­ner Arbeit vor Ort war auch durch die Mit­hil­fe im „Warehouse“ bestimmt, wo die vie­len Hilfs­gü­ter zusam­men­lau­fen, orga­ni­siert und ver­wal­tet wer­den. Hier haben wir zum Bei­spiel weit über tau­send Hilfs­pa­ke­te zusam­men­ge­stellt, die aus Wärm­fla­sche, Socken, Unter­wä­sche, T‑Shirts und Hose bestan­den. Es war immer schön, dann auch bei der Aus­tei­lung der Hilfs­pa­ke­te dabei sein zu können.

Wie erlebst du die Flücht­lings­la­ge dort?
Ein Mann kam eines Tages an einem war­men Novem­ber­tag mit einem weni­ge Tage oder Wochen alten Baby zu mir und bat mich, dass er doch unse­ren Strom vom Bau­wa­gen, in dem unser Büro sta­tio­niert ist, ver­wen­den dürf­te, um im Was­ser­ko­cher Was­ser zum Waschen des Babys heiß­zu­ma­chen, weil er nir­gend­wo sonst im Camp Strom gefun­den hat. Die Men­schen leben dort in Zel­ten von der UN und vom Roten Kreuz, teil­wei­se auch in Groß­raum­zel­ten. Jedem Bewoh­ner ste­hen rund 2,5 Qua­drat­me­ter Nutz­flä­che zur Ver­fü­gung, was in etwa der eige­nen Schlaf­flä­che ent­spricht. Wenn jemand eine Toi­let­te auf­su­chen möch­te, dann öff­net er oft eines der Dixiklos und schaut ange­ekelt zur Sei­te. Dies macht er oder sie dann so oft, bis er oder sie ein Dixi­klo gefun­den hat, dass am wenigs­ten schmut­zig ist. Als es noch warm war, haben vie­le Men­schen im Meer geduscht …

Was beein­druckt, bewegt dich?
Das eben geschil­der­te Leid, genau­so wie die Wür­de, mit der die Men­schen das dort tra­gen. Ich kann mir nicht vor­stel­len, wie mei­ne Fami­lie an einem sol­chen Ort über­le­ben oder leben könn­te. Aber eben genau sol­che Fami­li­en leben dort. Men­schen wie du und ich. Es sind nicht Flücht­lin­ge, die dort leben, als wäre das eine bestimm­te Art von Mensch, die dar­auf ange­passt wäre, so zu leben. Es sind Men­schen, Freun­de, Men­schen mit Namen. Die Krea­ti­vi­tät ist eben­so beein­dru­ckend, mit der die Men­schen dort Duschen bau­en, Koch­stel­len und vie­le ande­re Sachen, die das Leben dort ein biss­chen ein­fa­cher und erträg­li­cher machen. Eben­so beein­druck­te mich die Gast­freund­schaft und Offen­heit vie­ler Men­schen. In mei­nen weni­gen Wochen im Flücht­lings­la­ger wur­de ich öfters zum Tee oder Essen ein­ge­la­den, als in all mei­nen 28 Lebens­jah­ren in Deutschland.

Was ant­wor­test du Kri­ti­kern, die sagen, die Flücht­lin­ge sei­en selbst schuld an ihrer Lage?
Jesus hat­te und hät­te immer wie­der tau­send gute Grün­de und Anlass, um zu sagen: „Valen­tin, du bist an dei­nem Unglück selbst schuld. Sieh zu, dass du dir selbst hilfst.“ Aber das hat er nie gesagt und wird er auch nie­mals sagen. Er hat mich geret­tet. Das ist mein Bekennt­nis: Aus Gna­de hat mich Gott geret­tet. Das ist die Gute Nach­richt, die eben­so allen Men­schen gilt und mit der mich Gott beauf­tragt, in alle Welt zu gehen. Ich stel­le also die Gegen­fra­ge an alle, die Flücht­lin­gen die Schuld für ihre Situa­ti­on geben und ihnen damit indi­rekt die Hil­fe ent­sa­gen: „Wenn du allein aus Gna­de geret­tet bist, war­um ver­wehrst du sie dann ande­ren Men­schen, sei­en es Flücht­lin­ge oder nicht?“ „Du bist selbst schuld“ und „Hilf dir selbst!“ – Die­se Wor­te erin­nern an den Spott, den Jesus am Kreuz über sich erge­hen ließ.

Wie kön­nen Chris­ten helfen?
Wenn jemand Flücht­lin­gen hel­fen möch­te, so kann er in sei­ner Gemein­de oder Stadt nach Ehren­amts­krei­sen fra­gen, die in der Flücht­lings­hil­fe aktiv sind. Vie­le Gemein­den haben inzwi­schen Inte­gra­ti­ons­ma­na­ger, die die loka­le Haupt­amt­li­chen-Arbeit und Ehren­amts-Arbeit in der Flücht­lings­hil­fe koor­di­nie­ren. Dar­über hin­aus gibt es vie­le pri­va­te und kirch­li­che Initia­ti­ven. Und wer nach Les­bos zu Euro­Re­li­ef möch­te, bewirbt sich ganz ein­fach über das Online­for­mu­lar im Inter­net von Euro­Re­li­ef: www.eurorelief.net. Die größ­te Hil­fe ist bei all dem sicher­lich immer – und das gilt hier auf Les­bos im Lager eben­so –, wenn wir nicht „den Flücht­ling“ sehen, son­dern ein­fach den Men­schen vor uns. Zudem habe ich oft erlebt, dass ich vie­len Men­schen in der Flücht­lings­ar­beit nicht hel­fen kann. Ich kom­me hier oft an mei­ne Gren­zen, was unter ande­rem an den recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen liegt. Eine gro­ße Hil­fe wäre es sicher­lich, wenn sich auch in die­sem Bereich mehr Men­schen für die Rechts­stel­lung von Flücht­lin­gen ein­set­zen wür­den. Und selbst wenn es mir nicht immer mög­lich ist, den Men­schen zu hel­fen, so ist ihnen immer gehol­fen, wenn sie Jesus als den erken­nen, der er ist. Das kön­nen sie nur, wenn sie von ihm hören. Von ihm hören kön­nen sie nur, wenn wir von ihm erzäh­len. In die­sem Sin­ne: Lasst uns ein­an­der lie­ben, wie Jesus uns geliebt hat. Dar­an wird man uns erken­nen. Und dar­in wird uns allen geholfen.

Aus­führ­li­che Repor­ta­gen von Valen­tin Schlott gibt es hier: https://www.firstlife.de/hollywood-im-camp-auf-lesbos-teil‑5/

Wei­te­re Infos und Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten gibt es hier: www.liebenzell.org/mission/weltweite-projekte/mission-und-integration-deutschland

Foto: Silas Zindel

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