„Ich sehe Gottes Fingerabdruck in meiner Fehlgeburt“

Über 50.000 Frau­en erlei­den jedes Jahr in Deutsch­land eine Fehl­ge­burt. Car­men Sept, Mis­sio­na­rin der Lie­ben­zel­ler Mis­si­on in Sam­bia und Mut­ter einer fast zwei­jäh­ri­gen Toch­ter, hat das kurz vor Ostern erlebt.

Car­men, du hast Anfang der neun­ten Schwan­ger­schafts­wo­che dein zwei­tes Kind ver­lo­ren. Du schreibst in dei­nem Inter­net­blog ganz offen von dei­ner Fehl­ge­burt. Was hat dich dazu bewogen?
Mir fällt es von mei­ner Natur her leicht, immer wie­der über per­sön­li­che, oft auch „Tabu“-Themen zu reden. Ich spre­che zum Bei­spiel mit mei­nen Freun­din­nen eben­so über Ehe­the­men. Ich habe es als posi­tiv erlebt, wenn ande­re Frau­en über sol­che The­men reden und schrei­ben. Hin­zu kam die Anfra­ge der „Grow together“-Videomacher, einer Talk­run­de der Lie­ben­zel­ler Mis­si­on für Frau­en, die mich baten, über mei­ne Träu­me zu reden. Mir fiel dazu gleich mein zer­platz­ter Traum eines zwei­ten Kin­des ein. Ich nahm dar­auf­hin ein Video­state­ment auf und mein Mann Manu­el hat mich sehr ermu­tigt, die­ses zu ver­öf­fent­li­chen. Uns bei­den war bewusst, dass die­ses The­ma „dran“ war, zumal vie­ler unse­rer Freun­de von mei­ner Fehl­ge­burt wuss­ten. Nach der Aus­strah­lung sag­ten vie­le, dass sie Ähn­li­ches erlebt hat­ten. Mich hat ermu­tigt, von ande­ren christ­li­chen Frau­en in den sozia­len Medi­en zu lesen, die auch Fehl­ge­bur­ten erlit­ten. Ich fand es sehr hilf­reich zu sehen, wie sie damit umge­gan­gen sind, auch im Hin­blick auf ihre Gottesbeziehung.

In dei­nem Inter­net­blog schreibst du auch ganz ehr­lich, wie du die Fehl­ge­burt erlebst hast.
Es war echt hart, als mir bewusst wur­de, was gera­de in mei­nem Kör­per pas­siert und ich konn­te nur noch schluch­zend in mein Bett krie­chen. Von Ein­schla­fen war kei­ne Rede. Das inne­re Bild von mir, ein­ge­kau­ert in der gro­ßen Hand Got­tes, hat mich ruhig wer­den las­sen. Genau das haben wir auch die Tage danach emp­fun­den. Getra­gen von Gott. Umbe­tet von Freun­den. Genau­so wie ich am Anfang der Schwan­ger­schaft Stück für Stück rea­li­siert habe, wie­der ein Kind in mir wach­sen zu haben, muss­te ich nun die Gedan­ken in mir Wirk­lich­keit wer­den las­sen, dass die­se Schwan­ger­schaft nicht mehr besteht. Dass wir die­ses klei­ne Wesen nicht in den Armen hal­ten wer­den. Es gab so vie­le Plä­ne, Gedan­ken und Vor­freu­den, von denen ich mich ver­ab­schie­den muss­te. Die Fehl­ge­burt ist in der Kar­wo­che pas­siert, ein paar Tage vor Ostern. Noch nie hab ich Ostern so inten­siv erlebt. Plötz­lich wur­de Jesu här­tes­te Woche sei­nes Lebens auch mei­ne här­tes­te Woche, die ich bis jetzt erlebt habe. In dem Los­las­sen kam mir neu die Fra­ge auf, was wirk­lich mei­ne Hoff­nung im Leben ist. Für mich war klar, dass es Jesu Tod am Kreuz ist. Er allei­ne soll mei­ne Hoff­nung sein – nicht mei­ne Umstän­de. Das bedeu­tet für mich aber nicht, dass ich die Fehl­ge­burt und die damit kom­men­de Trau­er klein­re­de, ver­drän­ge oder ver­schwei­ge. Ganz im Gegen­teil: Ich schüt­te ihm mei­ne Gedan­ken, mein Herz dar­über aus. Ver­schie­de­ne Ver­se in Psalm 62 haben mein Füh­len in Wor­te gefasst: „Nur auf Gott war­tet still mei­ne See­le. Denn von ihm kommt mei­ne Hoff­nung“ und: „Ver­traue auf ihn alle­zeit, o Volk. Schüt­tet euer Herz vor ihm aus!“

Wie geht man in eurem Ein­satz­land Sam­bia mit Fehl­ge­bur­ten um?
Über Schwan­ger­schaf­ten wird hier tra­di­tio­nell nicht gespro­chen. Man ver­sucht das oft erst zu ver­heim­li­chen. Aber von Tot­ge­bur­ten sind in Sam­bia so vie­le betrof­fen. Jedoch man darf nicht dar­über trau­ern. Denn das Kind war nach dem hie­si­gen Ver­ständ­nis noch kein Mensch. Es hat­te noch kei­nen Namen. Die­se Tot­ge­bur­ten wer­den oft von älte­ren Ange­hö­ri­gen dann anonym verscharrt.

Du sagst in dem „Grow together“-Video, dass „Jesus es gut macht, egal wie mei­ne Umstän­de sind. Gott ist ein guter Gott, auch wenn mei­ne Träu­me nicht wahr wer­den.“ Wie gehst du mit der Span­nung um, dass Gott gut ist, aber Din­ge zulässt, die aus unse­rer Sicht nicht gut sind?
Mich hat ein Lied­vers aus „Weep with me“ (Weint mit mir) der nord­iri­schen Lob­preis-Band „Rend Coll­ecit­ve“ sehr ange­spro­chen. Dort sin­gen sie: „Herr, ich wer­de mit dei­nem Her­zen rin­gen. Aber ich wer­de dich nicht gehen las­sen.“ Ich wer­de mit Gott kämp­fen, ihm Fra­gen stel­len. Aber ich wer­de nicht an ihm ver­zwei­feln. Ich stel­le immer wie­der fest, dass ich das gro­ße Bild, das Gott vor Augen hat, nicht sehe. Auch wenn unser zwei­tes Kind per­fekt vom zeit­li­chen Abstand her auf unse­rer Toch­ter Junia und unse­res geplan­ten nächs­ten Hei­mat­ur­laubs gepasst hät­te, weiß ich doch letzt­lich nicht, was wirk­lich gut für uns ist. Viel­leicht dient uns das alles doch zum Bes­ten, auch wenn ich es heu­te noch nicht so sehe. Das ist jetzt eine stei­le Aus­sa­ge, aber viel­leicht will sich Gott dadurch ver­herr­li­chen aus einem Grund, den wir heu­te noch nicht so ken­nen. Gott hat mir die Fehl­ge­burt nicht ein­fach so ange­tan und zuge­mu­tet, son­dern er geht auch in die­ser Situa­ti­on mit uns mit. Ich sehe letzt­lich sei­ne Fin­ger­ab­drü­cke in dem Ganzen.

Was rätst du Frau­en, die eine Fehl­ge­burt erlitten?
Es kommt immer auf die Per­son an und es gibt kei­ne pau­scha­le Ant­wort dar­auf, aber wir haben gemerkt, dass es uns gut­tut, so offen dar­über zu reden. Man muss schau­en, was man braucht. Man­che bege­hen eine Fehl­ge­burt bewusst mit einer Art Trau­er­fei­er. Ich glau­be, wir Frau­en wis­sen instink­tiv, was wir brau­chen und uns gut­tut. Ich ermu­ti­ge, dass dann mutig zu machen, auch wenn sich eine Betrof­fe­ne ent­schei­det, nicht über ihre Fehl­ge­burt zu sprechen.

Wie hat die Fehl­ge­burt dein Got­tes­bild verändert?
Die Fehl­ge­burt hat mir gezeigt, dass ich auch in den här­te­ren Zei­ten an Gott fest­hal­ten kann. In mei­nem Leben ging bis­lang fast alles glatt und ich habe mich immer wie­der gefragt, wie gehe ich damit um, wenn mir etwas Schwe­res zustößt? Wer­de ich an Gott fest­hal­ten oder mich dann ent­täuscht von ihm abwen­den, weil ich so ver­letzt bin? Man weiß das nie im Vor­aus. Nun hat die Fehl­ge­burt in mir ver­fes­tigt, dass ich an Gott fest­hal­ten kann, auch wenn Din­ge pas­sie­ren, die ich mir nicht wün­sche. Gott ist da und nimmt mei­ne ehr­li­che Art an. Er blickt nicht auf mich her­un­ter und sagt: „Mach nun du mal.“

Car­men Sept arbei­tet für die Lie­ben­zel­ler Mis­si­on mit ihrem Mann Manu­el seit Som­mer 2017 in Sam­bia. Ihre Toch­ter Junia wur­de im Janu­ar 2019 gebo­ren. Car­men hat Theologie/Soziale Arbeit im inter­kul­tu­rel­len Kon­text an der Inter­na­tio­na­len Hoch­schu­le Lie­ben­zell studiert.

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