24 RATLOS Ratlos vor der intellektuellen Anspruchslosigkeit unserer Gemeinden erfahren, dass wir uns heute einmal genügend Zeit nehmen wollen, um dies oder das zu klären. Aber gäbe es nicht Formate, in denen so etwas geschehen kann, sozusagen Tiefgang statt Oberfläche? Heute nach dem Gottesdienst sagte meine Frau zu mir: „Das war eine Predigt, in der man nichts gelernt und nichts Neues gehört hat.“ Ist das gut so oder sollte sich da was ändern? Zeit für eine Gesprächsrunde … Wo also liegt das Problem? Die Überschrift deutet es an: Es gibt so etwas wie eine intellektuelle Anspruchslosigkeit, oder etwas angriffiger formuliert: eine grassierende Denkfaulheit. Glaube soll in einer Form präsentiert werden, dass er konsumierbar ist, wann immer einem danach ist. Wer lange Fahrten zur Arbeit hat, ab und zu joggt oder einer Arbeit nachgeht, die erlaubt, parallel etwas „auf die Ohren zu bekommen“, hört sich bei diesen Haupttätigkeiten gerne nebenher noch einen Vortrag über ein geistliches Thema an. Der darf dann auch etwas länger sein und ein wenig kompliziert oder gar theologisch (Worthaus, glaubendenken, Bengeltheke, offen.bar etc. – die haben erstaunliche Zugriffszahlen!). Wenn man es nebenbei hören kann, stört das nicht. Ein gehaltvolles Buch zum selben Thema zu lesen, ist dagegen – wenn man den Niedergang des evangelikalen Buchmarkts im Blick hat – offenbar nicht gefragt. Denn das erfordert konzentrierte Zeit und geistige Anstrengung. Da geht es um das Erarbeiten von Verstehen und man erlebt sein eigenes Nichtverstehen viel deutlicher, als wenn im Hintergrund ein Vortrag läuft. Im Gottesdienst, wo man eigentlich konzentriert zuhören kann, soll es dagegen einfach, leicht verständlich, möglichst praktisch und vor allem kurz sein. Warum? In den Würde Paulus eine Chance haben, bei einem Missionsfest als Prediger aufzutreten? Wahrscheinlich eher nicht. Warum? Erstens: Er redet zu lange und so langweilig, dass Menschen einschlafen und aus dem Fenster fallen (nachzulesen in Apostelgeschichte 20,7–11; dass er kein inspirierender Redner war, geht aus 2. Korinther 10,10 hervor). Zweitens: Er ist zu kompliziert und mutet seinen Zuhörern und Lesern etwas zu. Woher wir das wissen? Aus seinen Briefen: Die sind auch für antike Verhältnisse (mit Ausnahme des Philemonbriefes) eher lang, der Römerbrief und die Korintherbriefe sogar viel zu lang. Die Verlesung eines solchen Briefes (mit Erklärungen) nahm einige Zeit in Anspruch. Vor allem: Der Brief erforderte von den Empfängergemeinden eine große Bereitschaft, sich auf eine anspruchsvolle Argumentation einzulassen. Das passt weder zu unseren Missionsfesten noch zu den üblichen Gottesdiensten. Wird man als Prediger eingeladen, ist die wichtigste Information, die man vorab bekommt, ein Zeitplan, am besten als Minutenprogramm. Vier Minuten Begrüßung, drei Minuten Eingangslied, zwei Minuten Gebet und irgendwann Predigt, versehen mit dem Hinweis: möglichst nicht länger als 20 Minuten – oder gelegentlich auch recht direktiv: maximal 20 Minuten, sonst werden die Leute unruhig. Ich habe bei einer Einladung zu einer Predigt noch nie gesagt bekommen: „Das und das sind unsere gegenwärtigen Probleme in der Lehre oder Seelsorge.“ Oder: „Das beschwert uns gerade als Gemeinde und wir suchen biblische Wegweisung. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen, wir wollen zuhören und lernen.“ Es gibt gute Gründe dafür, das nicht so zu machen. Auch ich würde ungern am Sonntagmorgen im Gottesdienst
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