MISSION weltweit – Ausgaben 2023

20 Rita Mattmüller steht seit 2018 als mitarbeiterin der studien- und lebensgemeinschaft der liebenzeller mission den studierenden der ihl und ita als seelsorgerin und mentorin zur verfügung. mit ihrem mann daniel und ihren vier kindern war die ehemalige realschullehrerin von 2003 bis 2011 mit der liebenzeller mission in malawi und von 2012 bis 2018 in kanada unterwegs. sie studierte anschließend integrative beratung. nebenberuflich ist sie in eigener praxis als psychologische beraterin und seelsorgerin tätig. gespräch erwünscht? ritamattmueller@outlook.com WEITERDENKEN >> sonderbeitrag zum thema von rita mattmüller oder dass womöglich die ganze Bibel nicht „funktioniert“. Gottes Wort ist keine mathematische Formel und auch kein Kochrezept. Unserer menschlichen Logik und Klugheit stellt die Bibel eine andere Art Weisheit entgegen: „Hat Gott die Klugheit dieser Welt nicht als Torheit entlarvt? Denn obwohl sich seine Weisheit in der ganzen Schöpfung zeigt, hat ihn die Welt in ihrer Weisheit nicht erkannt. Deshalb hat er beschlossen, eine scheinbar unsinnige Botschaft verkünden zu lassen, um die zu retten, die daran glauben.“ (1. Korinther 1,20b–21). Göttliche Weisheit wird sich nie auf eine Größe innerhalb des Rahmens unserer menschlichen Vernunft reduzieren lassen – auch nicht, wenn wir unsere Überlegungen mit Bibelversen schmücken. Gottes Weisheit zeigt sich in seiner ganzen Schöpfung, auch in dem, wie er uns Menschen geschaffen hat. Dazu gehören unsere Bedürfnisse, die wir vom Säuglingsalter an in uns tragen. Wir brauchen nicht nur Nahrung, Wärme und Schutz, um uns gesund zu entwickeln, sondern auch menschliche Bindung, Nähe, Wertschätzung, Freiheit, Lebensfreude. Hilfreiche Fragen für das Bewältigen von herausfordernden Erfahrungen können deswegen sein: l Welche Bedürfnisse sehe ich durch dieses Erlebnis nicht mehr ausreichend gestillt? Welche Angst löst es aus? Darf ich das in meinem Umfeld ehrlich äußern? Sehe ich mich in allem von Gott und Menschen noch angenommen? l Habe ich die Möglichkeit, eigenständig eine Zukunft trotz aller Folgen des Erlebten zu gestalten oder sehe ich mich hilflos ausgeliefert? Heißes Wasser ist beim Teekochen notwendig. Allerdings ist es von Teesorte zu Teesorte unterschiedlich, wie lange der Beutel im Wasser bleiben kann, ohne dass der Tee ungenießbar wird. Das lässt keinen Rückschluss auf die Qualität des Tees zu, sondern nur auf die große Vielfalt der erhältlichen Teesorten, die alle ihren Wert haben. Muss ein Abschied Scheitern sein? Wenn Menschen merken, dass sie das „heiße Wasser“ nicht mehr länger aushalten, ohne bitter zu werden, kann eine äußerliche Veränderung hilfreich sein. Peter Scazzerro stellt fest: „Die Tatsache zu akzeptieren, dass etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt, ist eine der grundlegenden Aufgaben im geistlichen Leben. Für Christen in Leitungsverantwortung gilt das in besonderer Weise. Nicht jedes Problem kann oder sollte gelöst werden; manchmal muss man auch etwas sterben lassen können.“4 Unser Zögern, sich auf notwendige Veränderungen einzulassen, sieht Scazzerro als Folge einer Sichtweise, die Abschied oft als Scheitern betrachtet: „Wenn etwas zu Ende geht, empfinden wir das als Scheitern. Und Scheitern tut weh. Was tun wir also? Wir tun unser Möglichstes, um Abschiede zu vermeiden.“5 Aber ohne Abschied gibt es keinen Neuanfang, ohne ein Sterben keine Auferstehung. Immer wenn ein Traum platzt, ein Bemühen scheitert, eine Hoffnung stirbt, stirbt auch in uns ein Teil unserer bisherigen Welt-, Selbst- und Gottessicht – ganz besonders, wenn wir nicht sicher sagen können, ob wir nicht selbst dazu beigetragen haben. Scazzerro beschreibt die Folgen eindrücklich: „So notwendig diese Tode auch sein mögen – sie stürzen uns in der Regel in große Verwirrung […]. Wir stürzen ins Bodenlose. Es fühlt sich so an, weil der Tod genau das ist: ein Ende, das uns plötzlich in einen dunklen Tunnel versetzt, den wir durchqueren müssen, ohne sicher zu sein, dass je wieder irgendwo ein Licht auftaucht. Die meisten von uns leben gerne in der Illusion, dass Gott uns doch wohl nicht absichtlich einem solchen Schmerz aussetzen würde – und schon gar nicht immer wieder. Wir können keinen Sinn darin erkennen, dass die Menschen und die Dinge, die wir lieben, ganz real oder im übertragenen Sinn einen endgültigen Tod sterben müssen.“6 Was wir in Grenzerfahrungen brauchen Was wir in diesen Situationen am meisten benötigen, ist keine gründliche Analyse, keine schnell gebastelte Merkregel für den Rest des Lebens, keine Selbstbestrafung. Was wir wirklich brauchen, ist Trost. Gerade in Grenzerfahrungen entfaltet sich die ungeheuerliche Botschaft des Evangeliums: l dass wir uns nicht selbst erlösen können und müssen, l dass wir nie Gottes Größe mit unserem Verstand fassen können, l dass Gott eine ganz andere Perspektive auf unsere Mühen, unsere vermeintlichen Erfolge und Verluste hat, l dass Jesus selbst durch seinen Tod ermöglicht, was wir als tiefstes Bedürfnis tatsächlich zu stillen versuchen: eine ewige Geborgenheit und Beziehung zu Gott selbst, der Liebe ist, vor der alles andere verblasst. Es wird uns oft nicht gelingen, dieser Perspektive Priorität zu geben. Aber wir dürfen Mut fassen: „Deshalb, meine Kinder, lasst uns einander lieben: nicht mit leeren Worten, sondern mit tatkräftiger Liebe und in aller Aufrichtigkeit. Daran erkennen wir, dass die Wahrheit unser Leben bestimmt. So können wir mit einem guten Gewissen vor Gott treten. Doch auch wenn unser Gewissen uns schuldig spricht, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott barmherziger mit uns ist als wir selbst. Er kennt uns ganz genau. Kann uns also unser Gewissen nicht mehr verurteilen, meine Lieben, dann dürfen wir voller Freude und Zuversicht zu Gott kommen.“ (1. Johannes 3,18–21) l 6 scazzerro, Peter: emotional gesund leiten. Was sie stark macht für Gemeinde und Beruf. Brunnen 2015, s. 253. 4/5 scazzerro, Peter: emotional gesund leiten. Was sie stark macht für Gemeinde und Beruf. Brunnen 2015, s. 244f. Foto: atelier arnold/CCVision

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