8 darum gehts deutschland Dennoch griff Russland die Ukraine an. Was das an Veränderung mit sich brachte, erzählt Helene* bei unseren nun öfter stattfindenden Begegnungen. Zusammen mit ihrem Mann Dimitri* leitete sie ein Frauenhaus in Mariupol für rund 20 Frauen aus prekären Verhältnissen und deren Kinder. Geistlich und psychisch war Helene Tag um Tag gefordert, für die Bewohnerinnen zu sorgen. Dann kam die Front näher, und schließlich mussten sie allesamt fliehen. Im Westen der Ukraine machten sie Zwischenstation, bis sie nach Nagold im Nordschwarzwald evakuiert wurden. Bei einer christlichen Gemeinde, zu der sie schon seit Jahren Verbindung hatten, fanden sie vorübergehend eine Bleibe. Welch eine Entscheidung, die Heimat, das Land, die Freunde und vor allem auch den Ehemann und die Familie hinter sich zu lassen. Ohne zu wissen, für wie lange. Mittlerweile ist die Gruppe bei uns in Bad Liebenzell in einer ehemaligen Pension untergekommen, direkt am Fuß des Missionsbergs. Frauen unterwegs brauchen besonderen Schutz. Als Teil des Arbeitskreises Asyl haben wir sie bald kennengelernt. Hier in der Fremde kommt Helene als Leiterin der Frauen oft an ihre Grenzen, denn sie ist die Einzige in der Gruppe, die Englisch kann. So hängt die ganze Kommunikation mit den Behörden – und auch mit uns – an ihr. Oft hilft ein Übersetzungsprogramm. Wie können wir sie unterstützen? Helene sehnt sich nach Hilfe. Die fehlenden Sprachkenntnisse sind eine Sache, die mangelnde geistliche Unterstützung eine noch größere Herausforderung. Welchen Trost können wir ihr geben? Helene vermisst schmerzlich das sehr aktive, blühende Gemeindeleben in ihrer Heimat. Aber viele Freunde und Verwandte leben nun in ganz Europa und den USA verstreut. Helene hadert mit Gott, weil sie so viel verloren hat. Diese Enttäuschung kann ich ihr nicht nehmen. Was ich tun kann, ist zuhören, Anteil nehmen, ermutigen und die Trauer vor Gott bringen. Helene schätzt das sehr. Wir sprechen über die Enttäuschung der Jünger. Wie sollten sie weit mehr als 5000 hungrige Münder satt bekommen? Sie haben nur leere Hände vorzuweisen. Jesus handelt, verwandelt entgegen ihrer Erwartungen, und es reicht für alle (Matthäus 14,13ff). Seit einigen Wochen treffen wir uns immer dienstags um 17 Uhr zu einer Gebetswache in der Liebenzeller Stadtkirche. Erst waren es nur wenige, vor allem Helene und ihre FrauenhausGruppe. Wir freuen uns, dass nun einige Deutsche dabei sind, um der Enttäuschung die Macht des Gebets entgegenzustellen. Helene durfte für zehn Tage ihren Mann wiedersehen. Er bekam eine Sondergenehmigung für die Reise. Welch eine Freude war es für die ganze Gruppe und auch für Martin und mich – und welch ein Schmerz, als er wieder an die Front zurückmusste. Es bleibt eine Aufgabe und auch Bereicherung, Menschen anderer Kulturen zu begleiten und sie mit hineinzunehmen in unser Leben und unsere Gemeinden. Ihre Gebetshaltung und ihre Abhängigkeit von Gottes Versorgen beeindrucken mich sehr. Ulrike Kocher l Traurig sitzt sie neben mir. Ich sehe ihr die Last an und spüre ihre Enttäuschung. „Warum nur ist alles so gekommen“, fragt sie mich. Sie hatten doch so gehofft und gebetet. Ja, sogar Gebetsnächte haben sie veranstaltet, landesweit! *Name geändert Zerstörtes Liedblatt der ukrainischen Gebetsnächte Martin und Ulrike Kocher sind seit 2015 in der missionarischen Arbeit unter Migranten in Deutschland tätig, und Martin leitet den Arbeitsbereich „Mission & Integration“. Nach seiner theologischen Ausbildung in Bad Liebenzell folgten zwei Jahre Gemeinschaftsarbeit in Lahr und zehn Jahre Missionseinsatz in Sambia, vorwiegend an der Bibelschule in Fiwale Hill. Dann verantwortete Martin die Auslandsarbeit im globalen Süden. Im Erstberuf ist er Gärtnermeister, Ulrike Krankenschwester. Sie haben drei erwachsene Kinder. Rundbriefe erwünscht? www.liebenzell.org/kocher Wohin mit der Enttäuschung? Foto: Martin Kocher Die Gebetsgruppe in der Stadtkirche von Bad Liebenzell
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