darum geht’s Frankreich 10 Björn und Miriam Dehner leben seit 2012 in frankreich und haben drei Kinder. Zunächst engagierten sie sich in Nantes und cherbourg in der Jugendarbeit und gemeindegründung. seit august 2018 gehören sie zu einem gemeindegründungsteam in der südfranzösischen stadt montpellier. Vor seinem studium am theologischen seminar der liebenzeller mission arbeitete björn als Zimmermann. miriam ist Krankenschwester von beruf. rundbriefe erwünscht? www.liebenzell.org/dehner Ganz andere, klassische Abhängigkeiten spiegelt uns das Viertel, das nur zwei Straßen von uns entfernt liegt. Es ist einer der größten Drogenumschlagplätze Montpelliers. Der Preis für „harmlosere“ Drogen wird den Passanten beim Vorbeilaufen nachgerufen – ob man sich dafür interessiert oder nicht. Oder mir kommen die Frauen in den Sinn, die wir bei Hope & Joy treffen, einem christlichen Verein, der von mehreren Gemeinden getragen wird. Er kümmert sich um Frauen, die Menschenhandel zum Opfer gefallen sind und von einem mafiösen und gewalttätigen System abhängen. Ohne Papiere und Sprachkenntnisse sind sie gezwungen, mit ihrem Körper die Schulden abzuzahlen, die die lange Schmuggelreise angeblich gekostet hat. Wovon und von wem sind wir abhängig? Sind nicht nur diese Personengruppen, sondern wir alle Teil unterschiedlicher Abhängigkeitssysteme? Da ist nicht nur das Friseurgeschäft, sondern auch die Zahnarztpraxis und die Autowerkstatt. Es geht weiter beim Geld, der Gesundheit, der Anerkennung anderer usw. Wie abhängig und wie frei sind wir tatsächlich? Von wem oder wovon sind wir abhängig? Und ist das gut oder schlecht? Diese Fragen sind letztendlich Kern der Debatte, die die Gesellschaft aktuell in zwei Lager zu spalten scheint. In Frankreich mussten wir uns vergangenen Sommer gegen Corona impfen lassen, weil wir sonst (fast) nicht mehr am öffentlichen Leben hätten teilnehmen können. Ein großer Aufschrei im Land folgte, mit berechtigten und unberechtigten Fragen. Wie abhängig bin ich von einem politischen System? Inwiefern darf es meine persönliche Freiheit einschränken? Auch im zwischenmenschlichen Bereich fühlen wir uns manchmal „festgelegt“. In Frankreich bringt eine Kleinigkeit, die wir einfach so verschenkt haben, um eine Freude zu machen, das Gegenüber in Zugzwang. Man darf nicht in der Schuld eines anderen stehen, das „Konto“ muss ausgeglichensein.Wasmüssenwir alsosagenund wie sollten wir uns verhalten, um im „System“ des guten Tons der Beziehungen zu bleiben? Das betrifft die christliche Gemeinde gleichermaßen. Kann man offen sagen, dass man Zweifel hat oder dass es Eheprobleme gibt? Oder verhält man sich so, wie es in der Gruppe „angebracht“ ist? Wie frei sind wir eigentlich, ehrlich zu sein? So viele Unsicherheiten Während der heißen Phase von Corona in Frankreich im Sommer 2020 wurde an einigen unserer Sicherheiten gerüttelt. Die Frage, von wem oder wovon wir abhängig sind, stand in vielen Bereichen auf dem Prüfstand: l Am Ende der Ausgangssperre spürten wir stark die Begrenzung der Wohnung. Unsere drei Kinder teilten sich ein Zimmer und durch das ständige Zusammensein und die unterschiedlichen Interessen stieg der Druck. Wir suchten einige Zeit intensiv nach einer anderen Wohnmöglichkeit, aber es tat sich nichts auf. Oft sagten wir Gott: „Du siehst doch, dass wir dringend etwas Neues brauchen!“ Wie abhängig und wie frei? als ich neulich beim Friseur auf dem stuhl saß, beschlich mich dieses unangenehme gefühl, ausgeliefert zu sein. auch wenn ich jedes mal dieselbe Beschreibung meiner Wunschfrisur abgebe, bin ich abhängig von der person und ihrer tagesform. mit dem ergebnis bin ich mal mehr, mal weniger zufrieden. dem ganzen entziehen kann ich mich aber nicht wirklich. Der Wunsch nach Freiheit führt Aussteiger auf die Straße. Obdachlosenquartier in Montpellier.
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