MISSION weltweit – Ausgaben 2020

18 darum geht‘s weiterdenken >> sonderbeitrag zum thema von ernst günter wenzler Im September 1942 wird der österreichische Neurologe und Psy- chiater Victor Frankl (1905–1997) wegen seiner jüdischen Her- kunft ins Getto Theresienstadt deportiert. Mit ihm seine junge Frau und seine Eltern. Der Vater stirbt dort an Erschöpfung. Die übrige Familie wird im Oktober 1944 mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Dort werden sie für immer getrennt. Seine Mutter und sein Bruder werden in der Gaskammer von Auschwitz umgebracht. Lilly, seine Frau, stirbt im KZ Bergen-Belsen. Ihm wird in der Desinfektionskammer der Mantel abgenommen, in dessen Futter das Manuskript seines ersten Buches eingenäht ist. In einer verzweifelten Situation erzählt Frankl seinen Mitge- fangenen, dass er seine Aussicht zu überleben mit ungefähr fünf Prozent veranschlagt. Trotzdem denkt er nicht daran, die Hoff- nung aufzugeben und die Flinte ins Korn zu werfen. Schließlich weiß kein Mensch, was ihm vielleicht schon die nächste Stunde bringt. Viktor Frankl wird in einem Viehwagen zunächst in das KZ Kaufering III gebracht. Danach landet er in Türkheim, einem Außenlager des KZ Dachau. Am 27. April 1945 wird er mit den anderen Überlebenden von der US-Armee befreit. Er hat die „Hölle“ von Demütigung, Verlust, Leid, Willkür, Hunger, Eiseskälte und Krankheit überlebt. Seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern verarbeitet er in einem Buch. Es ist ein bewegendes Zeugnis der menschlichen Fähigkeit, trotz unmenschlichen und leidvollen Verhältnissen durchzuhalten. Er ist davon überzeugt: Man kann dem Menschen imKonzentrationslager alles nehmen, nur nicht die letzte mensch- liche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Das Buch wird zum Megaseller unter dem Titel: „... trotzdem Ja zum Leben sagen“. Der Satz stammt aus einem Lied, das im KZ Buchenwald geschrieben wurde. Man muss „Trotzdem Ja zum Leben sagen“, ist der dringende Appell des Psychi- aters Frankl. Das hat ihn und andere durchge- bracht. Durch die Phasen der Entmenschlichung und dem unvorstellbaren Leid und Elend, das sie durchlebten. Sie haben trotzdem Ja zum Leben gesagt und sind innerlich unversehrt aus dem her- vorgegangen. Nach seiner Beobachtung sind das nicht die Menschen, mit einer besonders starken physischen Konstitution. Sondern die, die Hoff- nung haben. Und die dadurch auch in den hoff- nungslosesten Situationen einen Sinn im Leben fin- den. Frankl formulierte es so: Es gibt nichts auf der Das „Stehauf-Männchen“ hat ein Geheimnis: Es hat einen tief liegenden Schwerpunkt. Wenn man den Kopf der Figur nach unten drückt, verschiebt sich dieser, und sie wird durch die Schwer- kraft wieder aufgerichtet. Das Gewicht im Innern gibt der Figur die Stabilität. Welt, dass einen Menschen so sehr befähigt, äußere Schwierig- keiten oder innere Beschwerden zu überwinden, als: das Bewusst- sein, eine Aufgabe im Leben zu haben. Trotzdem Ja zum Leben sagen. Die Hoffnung festhalten. Seine Lebensaufgabe nicht aus den Augen verlieren. Diese nachdenkenswerten Aspekte können uns helfen, auszuhal- ten, durchzuhalten und dranzubleiben, auch wenn Dinge nicht so laufen, wie wir sie uns wünschen. Wenn das Lebensschiff in Tur- bulenzen kommt. Der Druck zunimmt. Der Frust überhandnimmt. Und die Gefahr wächst, nicht mehr weitermachen zu wollen. Dass dies auch bei ganz hingegebenen Jesusleuten möglich ist, liegt auf der Hand. Ein Blick in das Leben des Paulus macht es deutlich. Seine Autobiografie in 2. Korinther 11,23–28 liest sich wie eine Horrorgeschichte. Sie bietet genug Stoff, um gleich mehrfach resigniert und verzweifelt auf- zugeben: „Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr von meinem Volk, in Gefahr von Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr Das steht fest: Wenn Gott uns mehr zumutet, als wir „verkraften“ können, dann nicht, weil ihm das Maß unserer Kraft nicht bewusst wäre. Sondern weil er das Maß seiner Kraft kennt.

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