MISSION weltweit – Ausgaben 2020
7 eCuador darum geht’s mission weltweit 9–10/2020 Die ungeahnten Möglichkeiten der Gastfreundschaft Was in der ecuadorianischen Kultur eine große Rolle spielt, kommt in unserer schnelllebigen, westlichen Welt häufig zu kurz. Wie oft haben wir wegen unserer überfüllten Terminkalender keine Zeit, ganz unerwartet und spontan Gäste bei uns aufzunehmen. Für die Quichua-Indianer dagegen sind Besuche nie unpassend und gelten nicht als Unterbrechung. Sie legen zwar nicht unbedingt ihre Arbeit beiseite, um sich mit ihrem Gast in einem Raum hinzusetzen, aber trotzdem stehen die Menschen an erster Stelle – noch vor ihren eigenen Wünschen. Ein Besucher schließt sich der Arbeit einfach an und hilft beim Kochen, Waschen, Tiere füttern oder Gar- ten gießen. Quichua würden die Gastfreund- schaft nie aufgeben, um allein zu sein. Sie setzen um, was der französische Schriftsteller Guy de Maupassant wunderbar auf den Punkt gebracht hat: „Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“ Wussten Sie, dass Gastfreundschaft ungeahnte Möglichkeiten bietet? Sie schenkt Chancen, Freunde zu gewinnen. Sie ist ein Türöffner für das Evangelium und die Jüngerschaft. Jesus ist das beste Beispiel für christliche Gastfreund- schaft. Er hat nicht nur Gäste aufgenommen, sondern ist auch selbst in verschiedenen Häu- sern zu Gast gewesen. Er hat die Gastfreund- schaft als Ausdruck der Liebe Gottes gelebt. Das Essen mit jemandem zu teilen bedeutete in der Antike, das Leben zu teilen. Es war eine intime Geste, die zur Gemeinschaft verband. Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern (Markus 2,15; Lukas 19,5–6), seine Speisung der 5000 (Markus 6,30–44), das Abendmahl mit seinen Jüngern (Markus 14,17–26) wie auch das gemeinsame Mahl der ersten Christen (Apostel- geschichte 2,42–47) vermitteln eine kraftvolle Botschaft voller Vertrautheit und Einheit. Aber nicht nur das: Sie sind auch ein Zeichen für die verzeihende Erlöserliebe Gottes. Jesus ließ sich spontan im Alltag unterbrechen. Er nahm sich Zeit für die Menschen unterschied- lichster sozialer Schichten. Jesus hörte ihnen zu, zeigte Mitgefühl, Hingabe, Offenheit. Er nahm die Menschen und ihre jeweilige Situation wahr. Er durchbrach Einsamkeit, Gleichgültigkeit und Fremdsein und gab Zeugnis von seinem himmli- schen Vater. Die Liebe zum Fremden Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet Gast- freundschaft „Liebe zum Fremden“. Ein Gast- mahl bietet eine wunderbare Chance, den christ- lichen Glauben zu verkündigen, der sich in Taten der Liebe und der Gastfreundschaft erweist. 1. Petrus 4,9 ruft dazu auf: „Seid gast- freundlich …“ Das bedeutet nicht, dass wir einen formellen Anlass brauchen, eine ausgefallene Mahlzeit bereitstellen oder ein perfekt gereinig- tes Haus präsentieren. Denn da, wo sich jemand willkommen und angenommen fühlt, ist es egal, ob noch Spielsachen verstreut auf dem Boden liegen oder ein paar dreckige Teller in der Spü- le stehen. Wenn wir unsere Wohnungen und unsere Herzen öffnen, um den Fremden will- kommen zu heißen, geben wir der Großzügig- keit und Gnade Gottes Raum. Als ich Gladis und ihre Familie zu mir nach Hau- se einlud, ihnen eine warme Mahlzeit zubereite- te, ihnen Liebe, Interesse und Wertschätzung entgegenbrachte, erlebte ich, wie sie das Evan- gelium der Liebe Gottes mit ganz anderen Ohren hörten. Die Motivation und Kraft, gastfreundlich zu sein, kommen nicht aus Pflichtbewusstsein und guten Vorsätzen. Sie wächst in einem Her- zen, das von der Gastfreundschaft und Liebe Gottes tief bewegt ist. Lasst uns also stets gastfreundlich sein und (un-) erwarteten Gästen Freundlichkeit und Güte ent- gegenbringen. Lasst uns aufmerksam hinhören, was ihnen auf dem Herzen liegt. Lasst uns das Evangelium durch einen liebevollen und groß- zügigen Dienst weitersagen. Mutter Teresa hat es so formuliert: „Sorge dafür, dass jeder besser dran und glücklicher ist, wenn er dich wieder verlässt. Sei die lebende Verkörperung der Güte Gottes: Zeige Güte in deinem Gesicht, in deinen Augen und in deinem Lächeln.“ Ramona Rudolph l ramona rudolph lebte seit 2012 im norden ecua- dors und arbeitete in der Gemeindegründung unter Quichua-indianern. sie ist von Beruf Fachangestellte für Arbeitsförderung, ihre Berufung führte sie in die Ausbildung am theologi- schen seminar der lieben- zeller mission und in die missionsarbeit. im sommer kehrte sie aus ecuador zurück. ramona arbeitet nun in den Bereichen jünger- schaft und mobilisation bei der liebenzeller mission in deutschland. Fotos: rAmonA rudolph Oben: Gladis und ihre Familie sind bei Ramona und ihrer Mit- bewohnerin Emilia zu Gast. Rechts: Es gibt Saubohnen.
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