MISSION weltweit – Ausgaben 2019

19 das empfehlen wir mission weltweit 11–12/2019 lich zerfällt. Ein Zelt wird nur für einen kurzen Gebrauch, für den Übergang erbaut. Es ist nichts Festes oder Permanentes, sondern aus leichtem Material und daher auch schnell vergänglich. Und diese Vergänglichkeit, diese Gebrechlichkeit des menschlichen Körpers oder Lebens ist Paulus wohl bekannt – ihm, der für das Evangelium von Jesus Christus immer wieder geschlagen, verfolgt, ins Gefängnis geworfen und auch gesteinigt worden ist. Bis dahin, dass er und seine Begleiter schier am Leben verzweifelten. So lassen Sätze wie dass wir den Schatz in „irdenen Gefäßen“ tragen“ (2. Korinther 4,7) oder dass auch wenn der äußere Mensch verfällt/aufgerieben wird, der innere von Tag zu Tag erneuert wird (2. Korinther 4,16) etwas von den Narben und Wunden erahnen, die der Apostel um Jesu willen an seinem Körper getragen hat. Aber auch ohne Verfolgungen erfahren wir in unserem Leben durch das Älterwerden, Krankheiten und Tod, dass unser Körper und unser Dasein hier auf dieser Welt verletzlich und vergänglich sind und bleiben. Der neue Auferstehungsleib als Gegenpol Und dieser Unsicherheit, diesem irdischen Körper, der mit der Zeit zerfällt, stellt Paulus nun einen Bau von Gott entgegen, der ewig und unzerbrechlich ist, nicht gemacht mit Händen, sondern von Gott selbst erschaffen für uns in der Ewigkeit: der neue Auferstehungsleib, der nach dem Tod im ewigen Leben auf uns wartet. Und so zieht sich trotz des Beschwertseins im irdischen Körper durch den ganzen Text eine für Paulus charakteristische Gewissheit hindurch: Denn wir wissen ... (2. Korinther 5,1); wir sind allezeit guten Mutes und wissen ... (Vers 6); diese Gewissheit entsteht bei Paulus nicht durch die eigene Stärke, Leistung oder das körperliche Wohlergehen, sondern durch den Heiligen Geist, den Gott uns als Anzahlung für das ewige Leben gegeben hat. Aus diesem Wissen, aus dieser Erkenntnis und aus dieser Hoffnung heraus entsteht nach Martin Luther überhaupt erst die Sehnsucht, das Verlangen nach der Ewigkeit. Und so schreibt Luther zu dieser Stelle: „Ich wollt gern, dass ich dort wäre, wohin immer ich gehen wollte. Wenngleich alle Türen verschlossen wären, so führ ich doch aus und ein, wohin ich wollte. Einen solchen Leib wollt‘ ich haben, für den es keine Schranken mehr gibt. Aber nein, ich muss diesen Leib tragen, der nur durch eine offene Türe ins Haus hineingeht und den ich, bis er ins Grab sinkt, hegen und pflegen muss.“ (Luther Kommentar zur Stelle, 390) Nicht mehr gebunden an Raum und Zeit Was Luthers Kommentar hier so besonders macht, ist, dass er seine Sehnsucht nach der Ewigkeit nicht vage lässt, sondern konkretisiert. Und zwar an einem Bezugspunkt aus diesem Leben, nämlich die unübersehbare Gebundenheit unseres Körpers an Raum und Zeit. Wir können nicht durch Wände und geschlossene Türen gehen. Wir können nicht in dem einen Moment hier und in dem nächsten ganz woanders sein. Das ist die Gegebenheit und Gebundenheit des irdischen Körpers. Dem gegenüber beschreibt Luther nun den neuen, himmlischen Leib – und es ist unschwer zu erkennen, dass er hier konkret Bezug nimmt auf den Auferstehungsleib Jesu, der nach seiner Auferstehung nicht mehr an Raum und Zeit gebunden war, sondern durch verschlossene Türen hindurch zu den Jüngern kam und ging. Und dadurch wird uns eine Realität vor Augen gehalten jenseits der irdischen, in der wir leben. Eine Realität, die größer, realer und freier ist als das, was wir hier in dieser beschränkten Welt als Realität wahrnehmen und erleben. Der zeitlich und räumlich gebundene Mensch kann niemals völlig ausschöpfen, was das Leben ihm an Möglichkeiten hier zu bieten hat. Wir haben nur ein Leben auf dieser Welt, und dieses verläuft linear. Jede Entscheidung, die man im Leben fällt, bedeutet auch eine Einschränkung der anderen Möglichkeiten. Der Traum meiner Kindheit, einmal als Astronautin das Weltall und die Planeten zu bereisen, ist in diesem Leben und in der Zeit, die mir gegeben ist, keine realistische Möglichkeit mehr. Und so manche feste Hoffnungen und Vorsätze, das eigene Leben frei und unabhängig von anderen, nur den eigenen Überzeugungen folgend zu leben, sind oft im Laufe der Zeit Kompromissen gewichen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Wir können das Leben und die Zeit nicht zurückdrehen. Aber das müssen wir auch nicht. Wer die Ewigkeit vor Augen hat, der hat das ganze, vollkommene und unversehrte Leben noch vor sich. Eine unvorstellbare Qualität Und so schreibt der Theologe Karl Rahner erstaunlicherweise vom „Trost der Zeit! Wir verlieren nicht, sondern gewinnen beständig. ... Das Leben versammelt sich immer mehr, je mehr scheinbar Vergangenheit hinter uns liegt. Je mehr es so scheint, umso mehr haben wir vor uns. Und wenn wir ankommen, finden wir unser ganzes Leben und alle seine eigentlichen Möglichkeiten, die uns gegeben waren. Es gibt nicht nur eine Auferstehung des Fleisches, sondern eine Auferstehung der Zeit in Ewigkeit.“5 Und so gewinnen wir mehr an Leben, trotz der Zeit, die hier verrinnt. Denn die vergangene Zeit ist kein Verlust, sondern Zeit, in der wir das von Gott geschenkte Leben gelebt und Gott erfahren haben. Und je mehr hinter uns liegt von dieser Zeit, dürfen wir wissen, dass alles das und noch viel mehr davon vor uns liegt. Das ist Auferstehung der Zeit in Ewigkeit. Ewigkeit ist keine Qualitätsminderung gegenüber dem irdischen Leben, sondern eine absolute Qualitätssteigerung! Ewigkeit ist keine abstrakte Größe, sondern eine konkrete Realität, die alles und jedes – sei es noch so klein und nichtig – übersteigt, was diese Welt und dieses Leben zu bieten hat. Diese Erkenntnis über und diese Sehnsucht nach der Ewigkeit führt bei Paulus jedoch nicht in eine Todes- sehnsucht oder Weltflucht, sondern er schreibt, dass wir umso mehr unsere Ehre darein setzen, ob wir daheim sind beim Herrn oder in der Fremde (nämlich hier in der Welt, im menschlichen Körper), dass wir ihm wohlgefallen (2. Korinther 5,9). Denn – und damit schließt der Text – wir müssen alle offenbar werden vor demRichterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er durch den Leib getan hat, es sei Gutes oder Böses. weiterdenken >> sonderbeitrag von prof. Dr. mihamm ki -rauchholz Wir können das Leben und die Zeit nicht zurückdrehen. Aber das müssen wir auch nicht. Wer die Ewigkeit vor Augen hat, der hat das ganze, vollkommene und unversehrte Leben noch vor sich. foto: Johanna Folkers

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzg4OTA=