MISSION weltweit – Ausgaben 2015
25 WEITErDENKEN >> GASTBEiTrÄGE Von VoLkEr kAuDEr unD inGo ruST Ingo rust, Bürgermeister in Esslingen, zuvor war der SpD-politiker Staatssekretär im ministerium für Finanzen und wirtschaft Baden-württemberg miSSion weltweit 11–12/2015 Stadt Bestes“ heißt, sich aktiv Gedanken über das zu machen, was das Beste für unsere Gesellschaft, für die Gemeinde, die Stadt oder das Land ist und dies in die Diskussion einzubringen. Nun aber die noch weitergehende Frage: Soll man als Christ ein politisches Mandat anstreben – also aktiv Politik machen? „Man“ soll nicht! „Man soll…“ würde bedeuten, dass alle Christen poli- tische Mandate anstreben müssten – das ist sicher mit dem Vers aus Jeremia nicht gemeint. Aber wenn sich die Frage im kon- kreten Fall stellt, ob sich ein Christ politisch en- gagieren soll, wäre meine Antwort: Prüfen Sie, ob dies Gottes Plan für Ihr Leben entspricht. Das ist zugegebenermaßen eine sehr allgemeine Antwort, aber aus meiner Erfahrung die einzig richtige. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott für jeden von uns einen Plan vorgezeichnet hat, auch wenn er sich leider nicht immer so offenbart, wie wir uns das manchmal wünschen würden. Sich dieses Plans und des eigenen Wegs ständig neu zu vergewissern, ist eine Daueraufgabe für uns als Christen – gleich an welche Stelle uns unser Herr im Augen- blick gestellt hat. Wie wir uns dieses Plans vergewissern oder ihn zumindest erahnen können, darauf kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Es wäre, wenngleich sehr spannend, alleine schon ein längerer Beitrag. Wenn Sie aber in einer konkreten Situation zu dem Schluss kommen, dass Gott Sie in seinem Plan in einer politischen Funktion sieht, liegt es an Ihnen, diese Aufgabe anzunehmen. Der eine oder andere wird sich jetzt vielleicht fra- gen: Kann ich das überhaupt? Habe ich diese oder jene Begabung, Eigenschaft, ja Gabe, um das Amt oder Mandat auszufüllen? Viele sagen, ich hätte eine relativ steile Karriere gemacht. Und in der Tat kannmannachwie vor einige Superlative inBezugaufmein Alter und meine Funktionen anführen. Ich war mir aber bei jedem Amt, jedemMandat, gewiss, dass Gott mir auch die nötigen Gaben dazu schenken wird, wenn er mich mit dieser Aufgabe betraut. Bei der einen oder anderen Aufgabe habe ich auch im Vorfeld daran gezweifelt – zugegeben. Aber im Nachhinein folgten die Gaben immer den Aufgaben, wenn sie nicht schon vorher da waren. Was wir als Christen auf jeden Fall machen sollen, schreibt Jere- mia im zweiten Teil dieses Satzes: „...und betet für sie zum Herrn.“ Es ist deshalb geradezu unsere Pflicht, für unsere Stadt, unser Land und die politischen Verantwortungsträger zu beten – und zwar egal, ob sie uns nun politisch passen mögen oder nicht. Die frühen Christen haben ja sogar für den römischen Kaiser Nero gebetet, der sie verfolgt und gefoltert hat. Jesus lehrt uns: „Bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, so werdet ihr Kinder eures Vaters im Himmel sein“ (Matthäus 5,45). Anfechtung und Hoffnung Einen zweiten Aspekt, den ich beleuchten möchte, sind Schwie- rigkeiten, aber auch hoffnungsvolle Dinge, denen man als Christ in der Politik begegnet. Zunächst zu den Schwierigkeiten. Erste Schwierigkeit: Man wird ein doppelter Exot. Zum einen in der Kirche, wo man als Politiker doch eher zu einer Minderheit gehört, die manchenorts sogar etwas misstrauisch beäugt wird. Wenn man dann, wie ich, auch noch Sozialdemokrat ist, wird’s mancherorts noch schwieriger. In der Politik dagegen gehört man wieder zur Minderheit der praktizierenden Christen, wenn man sich dazu bekennt, regelmäßig in der Bibel zu lesen, oder am Mittagstisch betet. Beide Gruppen machen es einem da nicht immer leicht. Weder die Brüder und Schwestern noch die Genos- sinnen und Genossen. Zweite Schwierigkeit: Es ist eine permanente Gratwanderung, wie offensiv man mit seinem Glauben in der Öffentlichkeit umgeht. Man ist als Politiker zweifelsohne eine Person des öf- fentlichen Lebens – man kann sich der Öffentlichkeit gar nicht entziehen. Aber wie offensiv soll man denn mit seinem Glauben umgehen? Trägt man das Kreuz vor sich her, heißt es, vor allem wieder bei den Schwestern und Brü- dern: „Der will ja nur Stimmen fangen“, oder „Das sagt er doch nur, weil er wieder gewählt werden will.“ Geht man hingegen zu defensiv damit um, kann einem passieren – was mir passiert ist – dass ein Journalist plötzlich sagt: „Herr Rust, ich wuss- te gar nicht, dass Sie Christ sind.“ Es ist also eine schwierige Gratwanderung, auf der einen Seite nicht den Eindruck zu erwecken, den Glauben als Wahlkampfmittel zu missbrauchen und auf der an- deren Seite seinen Glauben auch nicht zu verleugnen. Dritte Schwierigkeit: Man ist auch in der eigenen Kirchengemein- de eine Person des öffentlichen Lebens. Man kann sich nicht mehr so öffnen – imHauskreis, in der Seelsorge oder bei Bibelabenden –, wie man das als „nichtöffentliche“ Person kann. Man läuft ständig Gefahr, dass das eine oder andere politisch gegen einen verwendet wird. Wenn man, wie ich, sehr an der Gemeinschaft in der Kirchen- gemeinde hängt, kann das besonders schmerzlich werden. Aber es gibt auch Hoffnung, der man als Christ in der Politik begegnet. Da sind zuerst die vielen, vielen positiven Begegnun- gen mit Mitmenschen, mit Mitchristen – und viele, viele schöne und interessante Gespräche, die ich aufgrund meiner Tätigkeit als Politiker und als praktizierender Christ führen durfte und für die ich sehr dankbar bin. Zum anderen darf ich mich von einem Kreis fleißiger Beterinnen und Beter meiner Kirchengemeinde begleitet wissen. Die Beglei- tung durch Brüder und Schwestern im Gebet ist eine unheimlich kraftvolle Unterstützung für meine tägliche Arbeit. Zu wissen, da ist jemand, der für mich betet, gibt Mut und Durchhaltevermö- gen auch und gerade in schwierigen Situationen. Und der letzte Punkt, der zugleich der herausragende Pluspunkt aller Christen ist, gilt für Politiker in besonderem Maße: Wenn ich ernst nehme, dass Gott einen guten Plan für unser Leben hat, dann habe ich als Christ in der Politik den großen Vorteil, dass ich mich nicht von Ehrgeiz zerfressen lassen muss. Wenn ich das ernst nehme, mache ich als Christ in der Politik anders Politik. Dann sehe ich mein Wirken und Arbeiten als Dienst an. Dann weiß ich, dass Gott, wenn ich einmal nicht gewählt werde oder die Karriere vielleicht nicht so verläuft, wie man es sich vorstellt, einen Plan hat. Auch, wenn man nicht immer sofort erkennt, wie dieser Plan aussieht oder manchmal nicht einmal den nächsten Schritt kennt. Wir wissen doch, dass Gott unser Leben in seiner Hand hält. l beide Gruppen machen es einem nicht immer leicht. Weder die brüder und Schwestern noch die Genossinnen und Genossen. FoTo: iNGo rUST
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