MISSION weltweit – Ausgaben 2015
22 weiterdenken >> gastbeiträge von volker kauder und ingo rust Christ sein heißt, politisch sein Die frohe Botschaft Christi ist eine Aufforderung, sich in die Welt einzubringen. Christen sind dazu aufgerufen, sich dem Nächsten zuzuwenden, im Geist der Liebe zu leben. In seinem Kommen- tar des Bibelworts „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ hat es der Apostel Paulus in seinem Brief an die Galater als ein Grundgesetz des „zur Freiheit berufenen“ Christen betont: Christen sind frei zu entscheiden, zugleich gebunden in der klaren Hinwendung zu ihrem Nächsten. Unser Gewissen aktiviert uns und ist zugleich ein Kompass. Es bringt uns dazu, nicht alle Dinge ein- fach hinzunehmen. Gleichzeitig leben wir Men- schen in einer ständigen Spannung. Denn zu leben und Entscheidungen zu treffen ist selten einfach. Die Freiheit ist eine Bürde und kann zur Last wer- den. Mich tröstet ein Wort von Dietrich Bonhoeffer, der uns dar- an erinnert hat, dass wir hier auf Erden immer nur die vorletzten Dinge regeln. Wir können nichts Endgültiges erreichen. In dieser irdischen Begrenztheit sind wir aber gleichwohl auf- gefordert, unsere Freiheit für den Nächsten zu nutzen. Martin Luther hat in seiner Schrift über die Freiheit eines Christenmen- schen die von Paulus eindrücklich beschriebene Freiheit weiter konkretisiert. Seine Folgerung war: „Aus allem folget der Beschluss, dass ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christo und seinem Nächsten, in Christo durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.“ Erst durch die Hinwendung zum Nächsten er- füllt sich das Wesen der Freiheit, wird sie ihrem wahren Zweck zugeführt: zu einer Entscheidung für den Nächsten und für Gott. Ein Christ tritt durch diese freie Entscheidung in eine unmittel- bare Beziehung zu Christus. Er ist ein Subjekt, kein Objekt. Als Christen benötigen wir die Freiheit, die unser Gewissen wirk- mächtig werden lässt. Und wir müssen feststellen, dass sie kein frei verfügbares Gemeingut ist. Im Gegenteil, sie muss bewahrt und behauptet werden, damit sie nicht im Na- men angeblich übergeordneter Interessen für eine scheinbar große Idee geopfert wird. Christen müs- sen ein großes eigenes Interesse an der Wahrung einer Staatsform haben, die dem Einzelnen Hand- lungsfreiheit lässt. Für mich folgt daraus, dass sie aufgerufen sind, sich aktiv in die Gestaltung ihrer Umgebung einzubringen. Die wichtigste und erste Umgebung, in der die Menschen stehen, ist ihre Familie. In dieser Ver- antwortungsgemeinschaft übernehmen die Ehe- Foto: ©deutscher bundestag / Thomas trutschel/photothek.net Genauso wenig, wie sich Glaube, wie sich Religion auf eine private Ebene begrenzen lässt, genauso wenig kann man den Glauben von der Gesellschaft trennen. Als Christ in Politik und Gesellschaft Gast- beitrag von Volker Kauder
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