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Unsere Geschichte im Zeitstrahl Wilhelm Steinhilber, ehemaliger Verwaltungsleiter und Archivar, war bereits ein alter Mann, als ich ihm zum ersten Mal begegnete. Der vornehme alte Bibliothekar ging mit seinem kleinen Hund auf dem Missionsberg spazieren. Er grüßte freundlich mit seinem Spazierstock und fragte: „Was sollen wir nun hierzu sagen?“ Ich verstand zunächst gar nicht, was er meinte und sagte, dass alles gut sei. Als wir uns wieder begegneten, kam dieselbe Frage. „Was sollen wir nun hierzu sagen?“ Langsam dämmerte es mir: Sein Gruß war eine Frage, die Paulus im Römerbrief stellte. „Was sollen wir nun hierzu sagen?“ Der Apostel hat die Frage selbst beantwortet: „Ist Gott für uns, wer kann dann gegen uns sein?“ (Römer 8,31). Der weise Bruder Steinhilber wollte, dass ich die Frage beantworte. Und damit eine Grundaussage der Bibel zu meiner eigenen mache: Gott ist für uns. Sein Herz schlägt für uns. So sehr, dass er seinen eigenen Sohn für uns hingegeben hat. Seit 50 Jahren tröstet und stärkt mich dieses Wissen. Auch in Zeiten der Anfechtung und der Verzagtheit. ERNST GÜNTER WENZLER Wer einschnappt, muss auch wieder ausschnappen. ERNST VATTER In einer Glaubens-, Lebens- und Lerngemeinschaft von jungen Leuten gibt es nicht nur Stress, sondern auch viel Spaß. Über zehn Jahre wohnte ich mit den jungen Frauen unseres Seminars im gleichen Haus, direkt neben der Hausmutter. Nach dem Bibelkundeunterricht über das Buch Josua erhielt ich einen unvergesslichen Denkzettel: Vor unserer Wohnung türmten sich die „Mauern von Jericho“, und zwischen den Mauern, sprich Kartons, lagen verlockende Ferrero-Rocher-Kugeln. Wir Schwestern kamen nicht gleich auf die Idee, dass diese golden glänzenden Köstlichkeiten etwas mit den Schätzen von Jericho zu tun hatten, an denen sich ein gewisser Achan in Josua 7 unrechtmäßig vergriffen hatte. Die Strafe folgte auf dem Fuß – auch für uns, wenn auch nicht so hart wie bei Achan: Unsere Rochers waren mit Senf gefüllt! SCHWESTER IRMGARD WIELAND Im Römerbrief-Exegese- Unterricht erklärte uns Schwester Irmgard Wieland das Prinzip der Heiligung: „Der Kuhschwanz wächst nach unten!“ Sie meinte damit, dass wir bei fortschreitender Heiligung immer mehr erkennen, dass wir Sünder sind und Gnade nötig haben. STEFAN LANZ Sprüche & Anekdoten Klaus Hoppenworth im Hebräisch-Unterricht zu Dave Jarsetz, dem damaligen Studenten: „Ich wundere mich, mit welcher Sicherheit Sie falsch betonen.“ ULRICH STEIERT 2 Die Gründung O Am 13. November wird der deutsche Zweig der China-Inland-Mission in Hamburg-Uhlenhorst gegründet. Erster Missionar O Heinrich Witt wird am 31. Dezember als erster Missionar der neuen Organisation nach China entsandt. „Chinas Millionen“ O Eine eigene Missionszeitschrift erscheint – unter dem Namen „Chinas Millionen“ (heute: „Mission weltweit“). 1899 1899 1900
LIEBE LESERINNEN UND LESER 1964 schrieb Kurt Koch in seiner Heinrich Coerper-Biografie über die Mission: „Ich denke mit Sorge und Angst an die Zeit, da Liebenzell einmal sein 120-jähriges Jubiläum feiern wird. Bis jetzt hat noch kein Reichsgotteswerk ein solches Jubiläum geistlich lebendig erreicht.“ Mittlerweile sind mehr als 60 Jahre vergangen und wir feiern unser 125-jähriges Bestehen. Ein finales Urteil über unsere geistliche Lebendigkeit finde ich grundsätzlich schwierig. Selbstbeweihräucherung, Selbstdarstellung und Schulterklopfen sind an dieser Stelle auch nicht angebracht. Ich denke aber nicht, dass sich die damalige Sorge und Angst von Kurt Koch bewahrheitet hat. Im Gegenteil: Ich blicke fröhlich, begeistert und dankbar auf die Geschichte unserer Mission; auf vieles, was sich bewegt hat, was gewachsen ist und was sich verändert hat. Nicht alles lief rund. Nicht jeder und jedem wurden wir gerecht. Schmerzen, Verluste und Enttäuschungen blieben nicht aus. Wir haben nicht alles richtig gemacht. Das steht außer Frage. Aber wir haben es bis zum heutigen Tag erlebt, dass der Herr der Mission auch der Herr unserer Mission ist, dass Er sich zu uns stellt und uns auf Kurs hält. Uns belebt, bewegt und befähigt. Uns aber auch auf vielfältige und wundersame Weise beschenkt und versorgt. Das ist für mich ein echtes Gottes-Geheimnis. Bereits 125 Jahre lang „spuckt“ der Liebenzeller Berg „geistliches Feuer.“ Das anhaltende Gebet von Schwester Lina Stahl (1842-1924) um einen „feuerspeienden Berg“ hat sich mehr als erfüllt: Tausende wurden in Bad Liebenzell ausgebildet. Tausende wurden im Namen von Jesus zu den Menschen gesandt. Tausende unterstützen heute unser Missionswerk mit ihren Gaben und Gebeten. Unzählige Lebensbiografien wurden umgeschrieben, weil sie Jesus als Herrn, Retter und Freund kennengelernt haben. Unzählige Gemeinden und Projekte wurden gegründet. In zahlreiche Menschen wurde investiert und ihnen geholfen. Und das alles nur, weil Jesus gekommen ist, um ein Feuer anzuzünden! Weil er wie eine Fackel von Herz zu Herz geht, die Kalten wärmt, die Erstarrten auftaut und die Glut unter der Asche entfacht. Seine Liebe gilt allen. Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2,4). Gottes Mission besteht weiterhin, weil Sein Herz unverändert, der Auftrag klar, die Berufung eindeutig, das Evangelium gut, die Notwendigkeit groß und Er würdig ist. Es gibt 10.000 Gründe, sich darüber zu freuen, was Gott in unserer Geschichte getan hat. Das Wort Jubiläum kommt vom Lateinischen „jubilare“ und bedeutet so viel wie „laut schreien vor Freude.“ Jubel ist ein Ausdruck der Freude – und das tun wir anlässlich des Jubiläums von ganzem Herzen. Wir blicken dankbar rückwärts, gläubig aufwärts und mutig vorwärts. Deshalb denke ich mit Zuversicht und Hoffnung an die Zeit, da Liebenzell einmal sein 175-jähriges Jubiläum feiern wird. Geistliche Lebendigkeit ist kein Selbstläufer. Wenn wir jedoch bei Jesus bleiben, bleiben wir brennend. Wenn wir das Feuer seiner Liebe weiterhin in Wort und Tat weitergeben, werden wir als sein Werk lebendig bleiben. Dazu helfe uns Gott! Mit herzlichen Jubiläumsgrüßen Dave Jarsetz Missionsleiter 3 Besuch von Hudson Taylor (1832–1905) O Der englische Missionspionier Hudson Taylor kommt zu einem kurzen Besuch nach Hamburg. Nach elf Jahren Gebet 5. April O Umzug nach Bad Liebenzell. Vorausgegangen waren elf Jahre Gebet von Schwester Lina Stahl und viele Gespräche mit Pfarrer Heinrich Coerper. Der König kommt O Der württembergische König Wilhelm II. besucht Liebenzell. Sein königlicher Erlass: „Man soll aufhören, die Mission zu plagen.“ 1901 1902 1904
Grußworte an die Liebenzeller Mission 4 Gründung Süddeutscher EC-Verband O Der Süddeutsche EC-Verband (Später Südwestdeutscher EC-Verband) wird in Fellbach ins Leben gerufen. Heinrich Coerper, der Gründer der Liebenzeller Mission, wird von den Delegierten zum ersten Vorsitzenden des Verbandes gewählt und bleibt das bis Mitte 1933. Neuer Name O Aus dem Deutschen Zweig der ChinaInland-Mission (CIM) wird die „Liebenzeller Mission“ (im Verband der CIM). In die Südsee O Die Liebenzeller Mission beginnt die Missionsarbeit in der Südsee. 1904 1906 Die Arbeit der Liebenzeller Mission umfasst seit der Gründung der Mission im Jahr 1899 nicht nur die Verkündigung des Evangeliums, sondern auch zahlreiche wertvolle soziale Projekte. Die rund 250 Missionarinnen und Missionare setzen sich auch überkonfessionell für Menschen in Notsituationen und mit besonderen Bedürfnissen ein – und das in mehr als 20 Ländern. Zum 125-jährigen Bestehen gratuliere ich sehr herzlich und wünsche der Liebenzeller Mission für die Zukunft weiterhin alles Gute! WINFRIED KRETSCHMANN Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg 125 Jahre Liebenzeller Mission – das sind 125 Jahre Hören auf Gottes Wort, 125 Jahre Leben aus der Nachfolge Jesu, 125 Jahre leidenschaftliche Mission. In dieser Zeit wurde aus dem beschaulichen Bad Liebenzell immer wieder für unsere ganze Kirche der Blick geschärft: Mission ist der Herzschlag der Kinder Gottes. Anlässlich dieses Jubiläums erinnern wir uns gegenseitig daran, dass Gottes Reich international und interkulturell ist, aber auch weit und vielfältig. Danke für alles gute Miteinander. Gehen wir gemeinsam und partnerschaftlich in die Zukunft: mit Kraft, Liebe und Besonnenheit – sprich: geistesgegenwärtig (2. Timotheus 1,7). ERNST-WILHELM GOHL Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Zu Ihrem 125. Jubiläum übermittle ich Ihnen im Namen des Landkreises Calw meine aufrichtigen Glückwünsche. Die Liebenzeller Mission setzt sich mit großem Engagement für missionarische, soziale und Bildungsprojekte ein. Nach der Aussage Jesu „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40), leisten Sie praktische Hilfe für Menschen auf der ganzen Welt. Ihre selbstlose Hingabe hat einen nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft, dafür gebührt Ihnen höchste Anerkennung. Die Spuren Ihrer Arbeit sind in vielen Lebensgeschichten sichtbar. Wir sind dankbar für Ihren Beitrag zum Gemeinwohl und wünschen Ihnen alles Gute für Ihre weitreichende Arbeit. HELMUT RIEGGER Landrat des Landkreises Calw 1906
5 Erstes Missionsfest O Das erste Missionsfest wird gefeiert – im kleinen Ort „Siehdichfür“, rund zehn Kilometer von Bad Liebenzell entfernt und unter freiem Himmel im Wald. Das Missionshaus ist fertig O Nach drei Jahren Bauzeit wird das Missionshaus eingeweiht. Viele Missionsfreunde unterstützen den Bau. Manche packen tatkräftig an, andere spenden Geld, wieder andere bringen Holz für das Haus oder Milch und Eier für die Verpflegung. Der SV entsteht O Heinrich Coerper gründet am 6. Januar mit Kaufmann Immanuel Weißer (1877–1944, l. ) und Fabrikant Johannes Blank (1863–1934, r.), in Calw die „Süddeutsche Vereinigung für Evangelisation und Gemeinschaftspflege“ (SV). 1906 1907 1910 Als Bürgermeister von Bad Liebenzell gratuliere ich der Liebenzeller Mission herzlich zu ihrem bemerkenswerten 125-jährigen Jubiläum. Ein solches Ereignis spiegelt nicht nur die Langlebigkeit, sondern auch die tiefe Verwurzelung und den fortwährenden Einfluss Ihrer Mission in unserer Gemeinde und weit darüber hinaus wider. Die Zusammenarbeit mit der Liebenzeller Mission war stets von großer Begeisterung und einem gemeinsamen Verständnis für die Wichtigkeit Ihrer Arbeit geprägt. Ihre Mission, Hoffnung und praktische Hilfe zu bringen, hat mich persönlich immer beeindruckt und inspiriert. Besonders das jährliche Missionsfest bleibt mir als eine Veranstaltung in Erinnerung, die nicht nur unterhält, sondern auch die Gemeinschaft stärkt und unser gemeinsames Engagement für gute Zwecke fördert. Für die Zukunft wünsche ich der Liebenzeller Mission weiterhin Gottes Segen, Kraft und Weisheit, damit sie ihre wichtige Arbeit fortsetzen und noch mehr Menschen erreichen und inspirieren kann. Möge Ihre Mission auch weiterhin ein Leuchtturm der Hoffnung und der Nächstenliebe sein. Mit besten Grüßen und Wünschen, ROBERTO CHIARI Bürgermeister von Bad Liebenzell Wir gratulieren herzlich zum 125. Jubiläum der Liebenzeller Mission und sind dankbar für unser gemeinsames Unterwegssein in Gottes weltweiter Mission: sei es in der Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen (AEM) oder der vernetzten Missionsarbeit von Liebenzeller Mission und AllianzMission in Japan. Wir wünschen Euch für die kommenden Jahre Mut, neue Wege zu erkunden und zu beschreiten, Kraft für den weltweiten Einsatz für das Evangelium und die Leitung des Heiligen Geistes als einzelne Mitarbeitende wie als Organisation. THOMAS SCHECH 1. Vorsitzender AEM und Vorstandsvorsitzender Allianz-Mission Herzlichen Glückwunsch zu diesem unglaublichen Meilenstein von 125 Jahren! Für uns als Partnerorganisation ist es eine Ehre, dieses Ereignis mit Euch zu feiern. Eure Leidenschaft, Euer Engagement und Euer Dienst haben in Bangladesch nicht nur viele Menschen erreicht, sondern uns ebenso motiviert und inspiriert, selbst auch Licht in die Dunkelheit zu bringen und Hoffnung zu verbreiten. Möge es Gott schenken, dass wir auch in den nächsten 125 Jahren treu und hingegeben seine Mission fortführen. Mit Dankbarkeit und Bewunderung MOLINA KARMAKAR Direktorin – SHED, Bangladesch, (Sozialzweig unserer Partnerkirche)
Heinrich Coerper kam am 3. März 1863 als jüngstes von sieben Kindern eines Pfarrers in Meisenheim (Nordpfalz) zur Welt. Nach der Lateinschule im Heimatort besuchte er ab 1877 das Gymnasium in Köln, wo er bei seinem 16 Jahre älteren Bruder Fritz wohnte, der als Pfarrer tätig war. Danach studierte Heinrich Coerper Theologie in Halle, ab 1884 in Tübingen, Utrecht, Berlin und ab 1886 in Bonn. Der Glaube gehörte für Heinrich Coerper anfangs ganz natürlich zum Leben dazu, spielte jedoch keine prägende Rolle. Das änderte sich während seines Studiums: Ihn plagten wachsende innere Kämpfe, vor allem die Frage, wie persönlicher Glaube, der eigene Lebensstil und das angestrebte Pfarramt zusammengebracht und gelebt werden könnten. In Bonn lernte er den Theologieprofessor und Universitätsprediger Theodor Christlieb (1833-1889) intensiv kennen, der ihn entscheidend prägte. Der klare evangelistisch-missionarische Akzent, den er in seinen Vorlesungen und in seiner kirchlichen Arbeit setzte, waren für Heinrich Coerper wegweisend. Daneben faszinierten den jungen Theologiestudenten auch Theodor Christliebs überkonfessionelle Kontakte und Vernetzungen. Für Heinrich Coerper öffneten sich durch den Theologen ganz neue Perspektiven; hier lernte er zum ersten Mal echte Allianz mit Christen aus anderen Kirchen kennen. Dass der junge Heinrich Coerper sich daneben als glühender Patriot und Anhänger Preußens und des Militärs verstand, lag unter anderem daran, dass seine Heimatstadt dem Druck der überlegenen französischen Militärmacht ausgeliefert war. Freiwillig absolvierte Heinrich Coerper nach seinem Theologiestudium 1887/88 einen einjährigen Militärdienst in Berlin beim kaiserlich-preußischen Garde-Füsilier-Regiment. Am Ende wurde er zum Vizefeldwebel befördert. Seine national-patriotische Prägung trat jedoch zeitweise in den Hintergrund, wohl getrieben durch den gegensätzlichen inneren Impuls, leidenschaftlich als Christ zu leben. So brach der Theologe die Offizierslaufbahn plötzlich ab und ließ sich nur noch zum Lazarett-Pfleger ausbilden. 1888/89 arbeitete Heinrich Coerper als Dozent an der Evangelistenschule Johanneum in Bonn. Von 1890 bis 1894 war er Prediger und Pfarrer der Kapellengemeinde in Heidelberg. Dort begann er eine umfangreiche Arbeit unter Kindern und Studenten und wurde 1891 Mitgründer der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung. In dieser Zeit kam er unter anderem auch in Kontakt mit Hudson Taylor (1832–1905), dem Gründer der China-Inland-Mission. DER GRÜNDER Am Anfang der Liebenzeller Mission war Heinrich Coerper 6 Zeltevangelisation O In Liebenzell findet die erste Zeltevangelisation statt. Start auf der Insel Manus O Beginn der Missionsarbeit auf der Insel Manus in PapuaNeuguinea mit den Missionaren Friedrich Doepke (l.) und Hermann Kraft (r.). Ein unglaubliches Geschenk O Hilda von Diest (1869–1946) schenkt der Liebenzeller Mission den Missionsberg. 1918 1914 1913
Familie Coerper mit Mitarbeitern der Liebenzeller Mission Heinrich Coerper mit seiner Familie: Ehefrau Ruth und die Kinder Elisabeth, Ruth und Johannes 7 Heinrich Coerper segnet erstmalig Männer und Frauen (Schwestern) für die Arbeit in Deutschland ein. Mit Tracht und Haube O Zum ersten Mal werden die in Deutschland tätigen Liebenzeller Schwestern in Tracht eingekleidet. 1919 1920 1922 Am 18. September 1894 heiratete Heinrich Coerper Ruth Robert (1875–1952). Seine Frau stammte aus Biel (Schweiz). Das Ehepaar bekam vier Kinder, wobei Samuel bereits mit zwei Jahren verstarb. Nach seiner Heirat hatte Heinrich Coerper bis 1897 eine Pfarrstelle in Essen inne. Danach war er bis 1899 Vorsteher am Diakonissenhaus in Straßburg. 1899 übernahm Heinrich Coerper in Hamburg-Uhlenhorst auf Bitten von Johannes Röschmann den in die Krise gekommenen „Deutschen Zweig der englischen China-Inland-Mission“ und begründete ihn neu. Am 1. Januar 1900 veröffentlichte er erstmals die deutsche Ausgabe des Missionsnachrichten-Blattes „Chinas Millionen“, das mit bis zu 25.000 Exemplaren erschien und damals in Deutschland eine der größten christlichen Zeitschriften war. Am 5. April 1902 zog die Missionsfamilie nach Liebenzell in den Schwarzwald um, da ihnen das Haus in Hamburg gekündigt wurde. Dass das Werk von der Hafen- und Weltstadt ins idyllische Schwabenländle zog, geht auf Schwester Lina Stahl (1842–1924) zurück. 1900 begann Heinrich Coerper, Missionare und Missionsschwestern auszubilden, später auch für die Mitarbeit in Deutschland. Bis heute wird diese Ausbildung an der Internationale Hochschule Liebenzell und Interkulturellen Theologischen Akademie weitergeführt. 1903 reisten die ersten selbst ausgebildeten Missionare nach China aus. 1906 wurde die Arbeit in der Südsee begonnen (Chuuk, den Mortlockinseln, Palau, Ponape und Yap), 1914 auf Manus (Papua-Neuguinea) und 1927 in Japan. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Heinrich Coerper keines der Missionsländer besuchen. Heinrich Coerper gründete 1904 den „Süddeutschen EC-Verband“ und war bis 1933 auch dessen Vorsitzender, des heutigen „Südwestdeutschen Jugendverbandes Entschieden für Christus“ (SWD-EC). 1910 war er zudem Mitbegründer und Vorsitzender. (Später nannte sich dieser Verband „Südwestdeutscher EC-Verband“). 1933 rief Heinrich Coerper den „Liebenzeller Gemeinschaftsverband“ ins Leben, auch, weil er es ablehnte, für den Bau von Gemeinschaftshäusern Schulden zu machen. Heinrich Coerper gründete außerdem eine Schwesternschaft. Dabei musste er sein Missionswerk immer wieder verteidigen, denn es war für die damalige Zeit völlig ungewöhnlich, so viele Missionarinnen auszusenden. In seinem Glaubens- und Heiligungsstreben wurde er tief von der angelsächsischen Erweckung, der internationalen Heiligungs-, Heilungs- und Evangelisationsbewegung geprägt. Der Erste Weltkrieg mit seinen Folgen brachte den zeitweise verschütteten Patriotismus, Nationalismus und Antijudaismus wieder an die Oberfläche. Das prägte Heinrich Coerper auch in den späteren Jahren nach 1918. In der Auseinandersetzung mit der aufkommenden Pfingstbewegung, die 1909 in der Berliner Erklärung gipfelte, in der man sich scharf von dieser Strömung distanzierte, galt er als „Neutraler“, da er die Erklärung nicht mit unterzeichnete. Bis 1930 hatte Heinrich Coerper noch Kontakte mit pfingstkirchlichen Kreisen. Heinrich Coerper erlitt im Dezember 1933 einen ersten Schlaganfall; es folgte eine längere Krankheitszeit. Am 8. Juli 1936 starb er in Lahr-Dinglingen. Er wurde auf dem Friedhof in Bad Liebenzell beigesetzt. Seine Arbeit setzte ab Januar 1934 Pfarrer Ernst Buddeberg fort, der Schwiegersohn seines Bruders Fritz Coerper. Seit April 2002 ist die Straße um das Missions- und Schulungszentrum auf dem Missionsberg nach ihm benannt. Die „Klein-Wildbad-Quelle“ der Stadt Bad Liebenzell wurde im Juli 2005 in „Heinrich-Coerper-Quelle“ umbenannt. Claudius Schillinger Gemeinschaft Liebenzell O Heinrich Coerper gründet die Gemeinschaft in Bad Liebenzell.
DIE GROSSE GÖNNERIN UND FÖRDERIN DER LIEBENZELLER MISSION HILDA VON DIEST kommt am 11. Januar 1869 in Hamburg als jüngste von neun Geschwistern in einem vermögenden Bankiers-Haushalt zur Welt. Mit 18 Jahren heiratet sie den zwanzig Jahre älteren, adligen Offizier Heinrich von Diest (1849–1924). Er besitzt ein Familiengut in Daber (Pommern, heute Polen), wohin er nach seinem Abschied vom Militär (1904) mit Hilda von Diest zieht. Sie unterhält unter anderem persönliche Kontakte zur gläubigen Kaiserin Auguste Victoria (1858–1921) und führt mit ihr einen Briefwechsel. Diests träumen von einer Familie. Doch es kommt anders: Sie können keine Kinder bekommen; Heinrich von Diest hat zeit seines Lebens mit einer Nervenkrankheit zu kämpfen, die sich zunehmend verschlimmert. Die junge Frau sucht in Straßburg, wo ihr Mann stationiert ist, den seelsorgerlichen Rat eines Pfarrers: Heinrich Coerper. Er ist von 1897 bis 1899 als Vorsteher der Diakonissen tätig. Hilda von Diest erhält von ihm entscheidende Anstöße zum Glauben an Jesus Christus. So bezeichnet sie Heinrich Coerper als ihren „geistigen Vater“. Es entsteht eine lebenslange Freundschaft, die die Geschicke der Liebenzeller Mission maß- geblich prägen wird. So ermöglicht Hilda von Diest durch die Übernahme des größten Teils der Miete der „Villa Lioba“ den Umzug des jungen Missionswerkes von Hamburg nach Liebenzell. Als 1903 das Haus verkauft werden soll und Heinrich Coerper befürchtet, wieder einen neuen Sitz suchen zu müssen, erwirbt Hilda von Diest die Villa und schenkt sie der Liebenzeller Mission. Stück für Stück kauft sie in den Jahren darauf den ganzen heutigen, rund zehn Hektar großen Missionsberg und übergibt ihn später der Liebenzeller Mission. Sie verfügt, dass „in den Häusern auf dem Missionsberg Missionszöglinge für die Heidenmission auszubilden“ seien. Zudem erwirbt sie mehrere Gebäude im Ort, die sie der Liebenzeller Mission vermacht. Bei der ersten Mitgliederversammlung der Liebenzeller Mission am 7. September 1903, damals noch „Comitee“ genannt, wird sie neben Lina Stahl als eine von sieben Frauen in den Vorstand gewählt. Frauen bilden damit eine Mehrheit, was es damals in keinem Missionswerk gibt. So wird der deutsche Zweig der China-Inland-Mission für unverheiratete Frauen sehr attraktiv, die sich zum Missionsdienst melden; haben sie hier doch größere Freiheiten, als es sonst in den Missionsgesellschaften üblich ist. Am 7. November 1946 stirbt Hilda von Diest im „Haus Bethanien“, das sie 1916 für die Liebenzeller Mission gekauft hat und in dem auch Heinrich Coerper nach seinem Schlaganfall Anfang 1933 bis zu seinem Tod 1936 lebt. Hilda von Diest war die große Gönnerin der Mission; ohne ihre finanzielle Unterstützung wäre der Beginn in Liebenzell nicht möglich gewesen. „Von den GlauPfarrer Heinrich Coerper (1863–1936) gründete die Liebenzeller Mission. Doch ohne die treue Beterin Lina Stahl (1842–1924) und ohne Hilda von Diest (1869–1946) wäre die Missionsgesellschaft wohl niemals in den Schwarzwald gekommen. bensmissionen in Deutschland gab es keine Einzige, die in der Gründungsphase eine solche Förderin an ihrer Seite hatte wie die Liebenzeller Mission. Der Kauf der Villa Lioba mit den Grundstücken und zwei weiteren Gebäuden war wohl die größte Schenkung, die ein vergleichbares Missionswerk in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt. Aus heutiger Sicht wäre der Wert dieser Liegenschaft sicher auf viele Millionen Euro zu veranschlagen“, urteilt der Kirchenhistoriker Bernd Brandl. Die Liebenzeller Mission profitiert davon bis heute entscheidend. Hilda von Diest hätte allen Grund gehabt, zu verbittern, weil ihr Leben nicht so verlief, wie sie es sich gewünscht hatte. Doch sie machte aus ihrer „Lebenswunde“ ein „Lebenswunder“ und setzte ihr Vermögen für die Missionsarbeit ein – mit Segensspuren, die 125 Jahre weiter nachwirken. 8 Herzlich willkommen O Das Gästehaus „Pilgerruhe“ wird erbaut. Heute befinden sich dort Büros und die Geschäftsstelle des Liebenzeller Gemeinschaftsverbandes. Po Loges wird getauft O Missionar Friedrich Doepke tauft den jungen Mann Po Loges: der erste Täufling auf der Insel Manus – nach zehn Jahren Missionsarbeit. Schwester Lina Stahl stirbt am 17. November O Ohne ihre Gebete wäre die Liebenzeller Mission heute so nicht denkbar. 1924 1924 1923
EIN ELFJÄHRIGES GEBET MIT WELTWEITEN AUSWIRKUNGEN BIS HEUTE 24. Juni 1891: Eine Diakonisse aus Stuttgart zieht in eine wunderschöne Villa in Bad Liebenzell ein. Von der „Schlayerburg“, die Mathilde von Schlayer von 1886 bis 1888 erbauen ließ, blickt LINA STAHL von ihrem Schlafzimmerfenster zur riesigen Streuobstwiese auf einem kleinen Berghang. Die Erbauerin hatte die Stuttgarter Diakonissenanstalt gebeten, die Villa als Erholungsheim für die Stuttgarter Schwestern zu übernehmen, weil sie die Baukosten nicht begleichen kann. Nun betet die am 12. Februar 1842 als Pfarrerstochter in Wippingen auf der Schwäbischen Alb geborene Diakonisse, dass der vor ihr liegende „Klosterbuckel“ zu einem „Feuer speienden Berg“ wird: Von hier soll das Feuer des Evangeliums in alle Welt verbreitet werden. Der „Herr“ habe ihr für dieses Gebet persönlich den „Auftrag“ geben: „Ich habe vom Herrn die Gewissheit, dass dieser ganze Berg eines Tages zu einem besonderen Werk dem Herrn gehört.“ Doch jahrelang tut sich nichts – bis 1896 in Steinwurfnähe ein großes Gebäude errichtet wird: Es soll eine Silberwarenfabrik auf dem Berghügel entstehen. Die Fundamente für einen großen Schornstein werden ausgehoben. „Jetzt kommt der Feuer speiende Berg!“, spotten ihre Mitschwestern. „Nein, Nein“, meint Schwester Lina. „Mir geht es um das Feuer des Heiligen Geistes.“ Doch dann geschieht ein Jahr nach Baubeginn eine große Überraschung: Der zuständige Oberamtsbaumeister stoppt den Bau: In Liebenzell darf keine Fabrik entstehen, denn sonst scheitern die Pläne des aufstrebenden Städtchens, Kurort zu werden. Wer den Baustopp veranlasst, lässt sich nicht mehr ermitteln. Wahrscheinlich drängt der neue Bürgermeister Hugo Mäulen (1868–1955) darauf, der 1897 in das Amt gewählt wird. Robert Vollmöller (1849–1911), ein Textilfabrikant aus Stuttgart-Vaihingen, übernimmt den angefangenen Bau und lässt das Gebäude zu einer herrschaftlichen Landvilla ausbauen. Der Vater von vier Kindern ist kurz zuvor Witwer geworden und hofft, dass sein kranker achtjähriger Sohn Hans durch die Schwarzwaldluft Linderung erfährt. Und in der Tat: Der künftige Kurort macht seinem Namen Ehre, Hans gesundet – und der Fabrikant vermietet daraufhin die Villa, an der er nun kein Interesse mehr hat. Das alles verfolgt Lina Stahl aufmerksam. Und dann erfährt sie, dass Heinrich Coerper, den sie aus seiner Zeit als Vorsteher der Straßburger Diakonissen kennt, im Dezember 1901 dringend auf der Suche nach einem neuen Sitz für seinen am 13. November 1899 in Hamburg gegründeten deutschen Zweig der China-Inland-Mission ist. Sein angemietetes Haus im aufstrebenden Hamburger Stadtteil Uhlenhorst muss einer Durchgangsstraße weichen. Heinrich Coerper schaut sich daraufhin Objekte in ganz Deutschland an. Und da schaltet sich Lina Stahl ein: Direkt vor ihrer Tür sei ein geeignetes Objekt zur Vermie- tung frei geworden. Heinrich Coerper zögert: Warum sollte er aus der Weltstadt Hamburg mit über 700.000 Einwohnern in einen Schwarzwaldort mit damals rund 3.000 Bürgern ziehen? Und die Miete ist dreimal so hoch wie in Hamburg – für ein spendenfinanziertes Werk den Unterstützern nicht vermittelbar. Doch Lina Stahl bleibt hartnäckig: Sie lädt Heinrich Coerpers Frau Ruth (1875–1952) zu einer Besichtigung ein. Doch auch sie zögert angesichts der hohen Miete. „Wenn der Herr ebbes schenkt, ischs immer ebbes Rechts!“ („Wenn der Herr etwas schenkt, ist es immer etwas Gutes!“) – mit diesem geistlichen „Machtwort“ beendet Lina Stahl die Diskussion. Sie bittet die gemeinsame und sehr vermögende Freundin Hilda von Diest (1863-1946), den Großteil der Miete zu übernehmen. Auch Lina Stahl steuert einen Teil zur Miete bei – und so kann Heinrich Coerper am 5. April 1902 mit seiner Familie und zwölf „Missionszöglingen“ nach Bad Liebenzell in die Villa Lioba einziehen. Elf Jahre nach ihren Gebeten erlebt Lina Stahl die Gebetserhörung (bei der sie tatkräftig mithilft). Sie gehört auch dem ersten Komitee an und sorgt dafür, dass ihre Freundin Hilda von Diest 1905 die Villa erwirbt und der Liebenzeller Mission vermacht, nachdem das Haus verkauft werden soll. Am 17. November 1924 stirbt sie mit 82 Jahren in der „Pilgerhütte“ auf dem Missionsberg, die ihr Hilda von Diest als Altersruhesitz gekauft hatte. Ohne die Hartnäckigkeit dieser Diakonisse wäre die Liebenzeller Mission wohl nie nach Bad Liebenzell gekommen. Sie ist bis heute ein großes Vorbild dafür, was lang anhaltendes Gebet bewirken kann! Claudius Schillinger 9 Erster Jugendtag O Erstmals findet am Sonntag vor Pfingsten ein Jugendtag mit 2.000 Jugendlichen statt, um das sehr stark besuchte Pfingstmissionsfest zu entlasten. Mission – jetzt auch in Japan O Die Liebenzeller Mission beginnt ihre Arbeit im Land der aufgehenden Sonne. Im Einsatz für die Kranken O Das „Hudson-Taylor-Hospital“ wird in Changsha eröffnet. Viele Liebenzeller Missionare engagieren sich dort. 1925 1927 1927
1900 kamen die ersten „Fräulein“ zur Liebenzeller Mission; bald nannte man sie „Schwestern“. Am Anfang wurden nur Frauen aufgenommen, die für den Einsatz in China und später in der Südsee vorgesehen waren. 1903 sandte das Missionswerk drei Schwestern nach China in die medizinisch-missionarische Arbeit aus. Bald kümmerten sie sich auch um blinde Mädchen, die von ihren Familien ausgesetzt wurden. 1908 gründeten die Liebenzeller Schwestern die erste Blindenschule in Changsha. Dort arbeiteten sie segensreich, bis sie 1952 wie alle anderen ausländischen Missionare nach der Machtübernahme der Kommunisten das Land verlassen mussten. Als die chinesischen Behörden 2008 das 100-jährige Bestehen der Blindenschule feierten, luden sie die damalige Oberin, Schwester Erika Leimenstoll, ein. Zu ihrem großen Erstaunen wurde zu Ehren der Gründerinnen sogar ein christliches Anbetungslied gesungen. 1907 reisten zwei Liebenzeller Schwestern nach Mikronesien aus. Ab 1913 waren Schwestern vermehrt in der Gemeinschaftsarbeit in Deutschland tätig. Im und nach dem Ersten Weltkrieg ordinierte und sandte Heinrich Coerper Schwestern in die neu gegründeten Gemeinschaften, in denen sie die Verkündigung und Leitung übernahmen. Das machte die Liebenzeller Mission sehr attraktiv für junge Frauen, die sich in dem Missionswerk ihren Gaben gemäß entfalten konnten. So ersetzten die Frauen im Ersten Weltkrieg viele „Gemeinschaftspfleger“ (Prediger), die als Soldaten eingezogen wurden. Allerdings kann man nur bedingt von einer „Schwesternschaft“ in diesen Anfangsjahren sprechen; es gab keine besonderen Regeln, kein Zölibats- oder Diakonissengelöbnis. Die meisten der Frauen gingen nach der Ausbildung sofort weiter in den Missionsdienst. Viele Schwestern arbeiteten in Deutschland auch in Krankenhäusern, unter anderem in Calw, Duisburg, Essen, Hagen, Heilbronn und Tuttlingen. Da viele Schwestern als Single-Frauen immer wieder belästigt wurden, baten sie um eine Tracht. Diese wurde zum Pfingstfest 1922 eingeführt. Heute ist es den Schwestern freigestellt, ob sie diese tragen. Um die Schwestern während des Zweiten Weltkrieges davor zu bewahren, in Rüstungsbetrieben arbeiten zu müssen, sandte die Liebenzeller Mission Schwestern zum Dienst in Krankenhäuser. Zwei Schwestern wurden während ihres Dienstes getötet: 1943 wurde die auf Manus/ Papua-Neuguinea arbeitende ungarische Schwester Maria Molnàr zusammen mit den Missionarsfamilien Maria und Friedrich Doepke und Leni und Julius Gareis von den Japanern auf einem Kriegsschiff ermordet. 1991 starb die 35-jährige Schwester Gunhild Rott bei einem Raubüberfall in Sambia. Während man bis in die 80er-Jahre über 300 Schwestern zählte, sind es Anfang 2024 noch 80. Die 15 berufstätigen Schwestern sind eingesetzt in der Gemeinde- und Gemeinschaftsarbeit in Deutschland, Japan und Russland, in einer Schule sowie in der Verwaltung, Hauswirtschaft und Alten- und Krankenpflege auf dem Missionsberg. Auch im Ruhestand setzen sich die Schwestern noch nach Kräften für die Mission ein, zum Beispiel durch intensiven und vielfältigen Gebetsdienst. Claudius Schillinger STARKE FRAUEN HINTERLASSEN TIEFE SEGENSSPUREN „Herzkammer der Liebenzeller Mission“; „Das Beste an der Liebenzeller Mission“ – an wertschätzenden, liebevollen Bezeichnungen für die Liebenzeller Schwestern fehlt es nicht. Schwester Charlotte Hoff unterwegs mit dem Pferd Die Liebenzeller Schwesternschaft 2010 10 Zum ersten Mal „Kimife“ O Am Mittwoch vor Pfingsten gibt es zum ersten Mal ein Kindermissionsfest (Kimife) in Bad Liebenzell. LGV-Gründung O Der „Liebenzeller Gemeinschaftsverband“ (LGV) wird gegründet. Bis heute sind Gemeinschaftsverband und Mission eng verbunden. Erster Gemeinschaftsinspektor wird Wilhelm Heinsen (1879–1959). Wechsel in der Leitung O Pfarrer Ernst Buddeberg (1873–1946) übernimmt die Leitung der Liebenzeller Mission, nachdem Heinrich Coerper durch einen Schlaganfall arbeitsunfähig wurde. 1933 1934 1933
Ob eine Mission zu ihrem Ziel kommt und Menschen das Evangelium hören und verstehen, hängt auch von den Fähigkeiten der Menschen ab, die dieses Evangelium bezeugen. Deshalb lässt sich der christliche Glaube von einer christlichen Bildung gar nicht trennen. Von den Christusliedern der frühen Christenheit über die Briefe des Apostels Paulus, die Bekenntnisse der Alten Kirche und die Katechismen der Reformationszeit zieht sich Bildung wie ein roter Faden durch die Geschichte von Kirche und Mission. Der christliche Glaube lebt nicht nur, aber auch ganz stark vom Wissen! Christen müssen die Schriften kennen, in denen sich Gott offenbart hat. Sie müssen das Buch kennen, das die Grundlage für Glaube und Handeln ist. Sie müssen den Weg verstehen, den Gott mit seinem Volk und seiner Gemeinde gegangen ist und noch gehen will. Sie müssen Anfang und Ziel dieser Geschichte begreifen – und vor allem ihre Mitte: Jesus Christus. Entsprechend bedeuten 125 Jahre Liebenzeller Mission auch 125 Jahre Bildung auf dem Missionsberg und Bildung, die vom Missionsberg ausgegangen ist. Hier wurden in den vergangenen 125 Jahren buchstäblich Tausende Menschen ausgebildet: zunächst „Missionszöglinge“ für den Dienst in China, dann Schwestern und Brüder für den Dienst als Prediger, Evangelistinnen, Jugendreferenten und Krankenschwestern. Ausgebildet wurde bald nicht mehr nur für die Mission, sondern auch für Gemeinschafts- und Jugendverbände. Über die Jahre kamen Azubis in Hauswirtschaft, Verwaltung und Handwerksbetrieben dazu. Heute kann man auf dem Berg eine Jüngerschaftsschule (impact-move), Fachschule (Interkulturelle Theologische Akademie – ITA) oder Hochschule (Internationale Hochschule Liebenzell – IHL) besuchen. Hier können junge Menschen Theologie, Pädagogik, Soziale Arbeit oder Entwicklungszusammenarbeit studieren und einen staatlich anerkannten Bachelor oder sogar Master erwerben. 124 Jahre war die Bildungssprache Deutsch und die Missionszöglinge, Seminaristen, Bibelschülerinnen und Studenten waren es auch. Im vergangenen Jahr hat die IHL mit dem ersten englischsprachigen Bildungsprogramm in der Geschichte der Liebenzeller Mission begonnen. Mission ist im 21. Jahrhundert nicht mehr nur ein Weg, der „from the West to the Rest“ führt, sondern eine internationale und interkulturelle Bewegung von überall her nach überall hin. In den kommenden Jahrzehnten sollen Studierende aus den verschiedensten Ländern, Kulturen und Völkern am missionarischen Bildungsprogramm auf dem Missionsberg teilnehmen können. Über die Mission wurden von Bad Liebenzell aus 125 Jahre lang die entlegensten Winkel der Erde erreicht: das Innere Chinas, die kleinsten Südseeinseln und das Herz Afrikas. Auch über die Bildung ist die Liebenzeller Mission immer wieder zu neuen Ufern aufgebrochen. Sie hat geistliche und leibliche Nöte und Notwendigkeiten wahrgenommen und dann Mittel und Wege gefunden, um junge Menschen auszubilden, um dieser Not zu begegnen. Diesen Auftrag werden wir auch in Zukunft verfolgen. Mission verändert sich, Bildung auch. Die Standards steigen, die Methoden ändern sich. Vieles wird digitaler, internationaler und interkultureller werden. Aber eines wandelt sich nicht: Liebenzeller Bildung bleibt ebenso wie die Mission ein Weg mit Gott von Mensch zu Mensch. Volker Gäckle 11 Pfarrer Heinrich Coerper stirbt O Der Gründer der Liebenzeller Mission stirbt am 8. Juli in Lahr und wird wenige Tage später in Bad Liebenzell bestattet. Beschlagnahmungen im Krieg O Das Gebäude „Pilgerruhe“ und große Teile des Missionshauses werden beschlagnahmt und den ganzen Krieg über für die Unterbringung von Flüchtlingen belegt. Gründung des US-Zweigs O Der amerikanische Zweig der Liebenzeller Mission wird in Schooley’s Mountain gegründet. 1936 1939 1941
Thomas, wie viele Spenderinnen und Spender unterstützen jährlich die Arbeit der Liebenzeller Mission? Thomas Haid: Wir haben rund 16.800 Spenderinnen und Spender, die uns namentlich bekannt sind. Dazu kommen aber noch viele, die uns über Opfer und Kollekten unterstützen. Unsere Unterstützer vertrauen uns zurzeit rund 16 Millionen Euro an. Es ist jedes Jahr spannend zu erleben, wie die Gelder für unsere Arbeit zusammenkommen. Und ganz klar: Ohne die vielen Beterinnen und Beter könnten wir Gottes Liebe weltweit nicht weitergeben! Wie gehst Du mit der Spannung um, dass wir uns als „Glaubenswerk“ verstehen, das alles von Gott erwartet? Thomas Haid: Wir haben sieben Grundwerte definiert. Der erste lautet „Gottvertrauen“: „Wir leben im Vertrauen auf Gott. Von ihm empfangen wir Grund und Gaben für unseren Auftrag.“ Wir erleben nun seit über 125 Jahren Gottes Treue und es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die Dinge dann fügen: Wie wir nicht nur mit Möglichkeiten, sondern auch mit Menschen und den benötigten Mitteln versorgt werden. Es ist großartig zu erleben, wie sich Jesus zu seinem Werk stellt! DEINE MITARBEIT MACHT DEN UNTERSCHIED Was macht die Arbeit bei der Liebenzeller Mission so attraktiv, was müssen Mitarbeitende mitbringen – und wie finanziert das Werk seine Arbeit? Darüber berichten Thomas Haid, kaufmännischer Geschäftsführer der Liebenzeller Mission und seine Stellvertreterin und Personalleiterin Bettina Heckh im Interview: Ohne die vielen Beterinnen und Beter könnten wir Gottes Liebe weltweit nicht weitergeben. 12 In den Wirren des Zweiten Weltkriegs O Die Manus-Missionare Friedrich und Maria Doepke, Julius und Leni Gareis mit ihrem Kleinkind und Schwester Maria Molnàr werden durch japanische Marinesoldaten auf hoher See erschossen. Missionare in China müssen das Land verlassen O Durch die Machtübernahme der Kommunisten ist Missionsarbeit in China nicht mehr möglich. Im Dezember kehren die letzten Liebenzeller Missionare nach Deutschland zurück. Start in Taiwan O Die Liebenzeller Mission beginnt die Missionsarbeit in Taiwan. 1952 1955 1943
Du bist auch für das Personal zuständig. Was motiviert aus Deiner Erfahrung zur Mitarbeit bei uns? Thomas Haid: Menschen können bei der Liebenzeller Mission das, was sie glauben, in die Tat umsetzen: Sie können sich dafür engagieren, dass Gottes frohe Botschaft – das Evangelium – in aller Welt verbreitet wird. Sie können daran Anteil haben, indem sie sich und ihre Gaben hier in Bad Liebenzell oder auf der weiten Welt einbringen. Bettina Heckh: Viele arbeiten bei uns mit, weil sie eine konkrete Berufung erlebt haben: Gott hat zu ihnen gesprochen, dass sie zu uns kommen sollen und sie sind seinem Ruf gefolgt. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert auch die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Deshalb wollen viele bei uns arbeiten. Bettina, was macht die Liebenzeller Mission als Arbeitgeberin besonders? Bettina Heckh: Uns zeichnet die Gemeinschaft untereinander aus. Wir arbeiten zusammen und führen Gottes Auftrag aus. Diese geistliche Geschwisterschaft und Verbundenheit macht uns aus. Wir wissen, dass wir nicht für irgendetwas arbeiten, bei dem man oft keinen Sinn erkennen kann. Wir arbeiten gemeinsam für und mit Jesus Christus. Die Basis unserer Arbeit ist also eine andere. Man kann deshalb bei Meinungsverschiedenheiten auch anders aufeinander zugehen. Wir sind bereit, einander zu vergeben. Und auch das Miteinander ist, so mein Empfinden, im Vergleich zu einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft eine andere. Ich erlebe, dass wir das Beste für den anderen möchten und nichts Böses unterstellen, wenn jemand anderer Meinung ist. Uns verbindet, dass wir das Beste für Gottes Reich wollen und nicht unsere eigenen Zwecke verfolgen oder besser als andere dastehen wollen. Das begeistert mich an der Liebenzeller Mission. Thomas Haid: Uns macht besonders, dass Du bei der Liebenzeller Mission durch Deine Mitarbeit den Unterschied machen kannst: Du bist Teil der größten und wichtigsten weltweiten Unternehmung! Hier gilt „One organization, one operation“ – egal, ob Du in der Zentralküche oder in Zentralasien arbeitest, im Monbachtal in unseren Gästehäusern oder in Malawi. Was müssen Bewerberinnen und Bewerber besonders mitbringen? Worauf achtet ihr neben den beruflichen Qualifikationen besonders? Bettina Heckh: Ich achte darauf, dass künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Team und in unser Werk passen. Es geht darum, dass sie unserer Glaubensbasis und unseren Werten (www.liebenzell.org/ vision2025) zustimmen und sich mit ihnen identifizieren: Gottvertrauen, Treue zu Gottes Wort, Dienende Haltung, Wertschätzung, Qualität, Befähigung und Zukunftsorientierung. Wir fragen auch immer danach, warum sie sich gerade bei uns bewerben. Was motiviert sie, hier zu arbeiten? Thomas Haid: Ich rate dazu, sich einfach bei uns zu bewerben und zu schreiben, was man anbieten kann. Vielleicht bist gerade Du die richtige Person zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle? (www.liebenzell.org/team) Wir haben etliche offene Stellen. Wie geht Ihr mit der Spannung um, dass wir so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen? Bettina Heckh: Auch hier ist Gottvertrauen elementar wichtig: Gott schenkt uns zur rechten Zeit die richtigen Mitarbeiter. Das haben wir seit unserer Gründung vor 125 Jahren immer wieder erlebt. Und das wird er auch in Zukunft tun. Deshalb bin ich hier tatsächlich entspannt. Thomas Haid: Wir haben in der Tat immer wieder erlebt, dass Gott zur rechten Zeit die rechten Menschen geschickt hat. Das mag sich sehr fromm anhören, aber es ist tatsächlich so. Gott sei Dank! Die Fragen stellte Claudius Schillinger. Menschen können bei der Liebenzeller Mission das, was sie glauben, in die Tat umsetzen. 13 Pfarrer Lienhard Pflaum O Bis zu seinem Ruhestand 1992 leitet Pfarrer Lienhard Pflaum (1927–2018) die Liebenzeller Mission. Neuer Leiter der Auslandsarbeit O Ernst Vatter (1929–2012) wird „Missionsinspektor“ und ist für die Arbeit im Ausland verantwortlich. Er bleibt das bis zu seinem Ruhestand 1993. Schöne Ferien und mehr O Der erste „Freizeitenprospekt“ erscheint und gilt als der Start der Liebenzeller Freizeiten. Die Ziele: Menschen einen schönen Urlaub bieten, in christlicher Gemeinschaft reisen und Interesse für die Missionsarbeit wecken. 1968 1971 1966
und der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage in den folgenden Jahren. Er schrieb bis zu seinem Schlaganfall an Weihnachten 1933 mehrere Briefe an Adolf Hitler und begleitet ihn „mit dankbarer Fürbitte“. Immer wieder verteidigte er Adolf Hitler in Briefen und Flugschriften. Sein Nachfolger Ernst Buddeberg hielt am 23. Oktober 1940 fest: „Der verstorbene Gründer und Leiter des Werkes, Pfarrer Heinrich Coerper, war einer der ersten Pfarrer in Württemberg, der sich offen zum Führer bekannt hat.“ Der Gründer der Liebenzeller Mission erkannte kurz vor seinem Schlaganfall seinen Irrtum. Er trat noch im selben Monat aus der Bewegung der „Deutschen Christen“ aus und distanzierte sich von ihnen, als er deren antichristlichen Kurs erkannte. Ernst Buddeberg hatte sich zunächst der Bekennenden Kirche angeschlossen und sich gegen Antisemitismus stark gemacht. Als er die Leitung der Liebenzeller Mission übernahm, legte er sich jedoch größte politische Zurückhaltung auf. Gleichwohl war er tief national-patriotisch gesinnt; er sah in Adolf Hitler den gottgesandten Führer, der als „Werkzeug Gottes die Erhebung des deutschen Volkes leite“, so Helmut Egelkraut, der 2015 das Standardwerk „Die Liebenzeller Mission und der Nationalsozialismus“ verfasste. Die Gestapo lobte bei Ernst Buddeberg, dass er „nationalsozialistisch eingestellt“ sei. Er stellte sich uneingeschränkt auf die Seite Hitlers und So erinnert sich Marianne Baral an den ehemaligen jüdischen Prediger Samuel Ostrer, der im schwäbischen Brucken tätig war und von dem sich die Lie- benzeller Mission im Juni 1936 aufgrund seiner jüdischen Ab- stammung trennte. Sein wei- terer Verbleib konnte nie aufgeklärt werden. Auch Vilma Lasser, eine jüdische Ärztin und ChinaMissionarin, musste die Liebenzeller Mission 1938 verlassen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 hatte auch gravierende Auswirkungen auf die Liebenzeller Mission: In Deutschland unterlagen die Missionsgesellschaften zunehmend strenger Spendensammelbeschränkungen, ebenso fielen im Laufe der Zeit die Steuervergünstigungen weg. Die Begrenzungen bzw. die Sperre der Devisen in die Missionsgebiete hatte dramatische Folgen für die Gehaltszahlungen an die Missionare und Finanzierung der dortigen Arbeit. Durch das aggressive Auftreten der NSDAP-Auslandsorganisation waren die Missionare und ihre Familien unmittelbar betroffen; sie wurden in China auf diese Weise von den Nationalsozialisten kontrolliert. Heinrich Coerper selbst war geprägt von einer starken vaterländischen Gesinnung und großen Ablehnung der Juden: Er gab ihnen eine Mitschuld an der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg „Es kam das Pfingstmissionsfest 1936, meine Mutter ging zu Fuß hin … Sie wollten nach Bruder Ostrer schauen, aber er durfte nicht mehr unter die Leute, sie trafen ihn deshalb nicht. Traurig traten sie den Heimweg an, am Kaffeehof (in Liebenzell) vorbei. Da saß Bruder Ostrer ganz oben auf einem Bänkle und sagte zu ihnen: ,Von euch muss ich mich noch verabschieden, sonst kann ich nicht fortgehen.‘ Am Tag darauf musste er fort nach Polen, nach Lodsch ins Lager.“ Die Liebenzeller Mission in der Zeit des Nationalsozialismus Missionsfest mit der damaligen vorgeschriebenen Beflaggung 14 Missionsfest – jetzt auch für Teenager O Erstes Teenagermissionstreffen am Sonntag nach Pfingsten mit 500 Teilnehmern, damals noch auf dem Missionsberg, heute im Monbachtal. Start in Bangladesch O Mit der Ausreise von Albert und Marianne Rechkemmer sowie den Schwestern Charlotte Andres und Gertrud Endlich beginnt die Missions- arbeit in Bangladesch. 1974 1975 1974 Neu: Das Feierabendhaus O Das „Feierabendhaus“ auf dem Missionsberg wird eingeweiht. Dort können Liebenzeller Schwestern ihren Lebensabend verbringen.
bejahte sein politisches Vorgehen. Ernst Buddeberg sah in Adolf Hitler „auch noch Ende 1944 und Anfang 1945 den von Gott erwählten und gesandten Retter Deutschlands, eine pseudoreligiöse Heilsfigur“. In jedem Schritt Hitlers, auch wenn er offensichtlich gegen geltendes Völkerrecht und Verträge verstieß, sah er eine Führung Gottes. Der Widerstand gegen das NS-Regime im Dritten Reich wurde nur insofern erwähnt, als man Gott für die Bewahrung des „Führers“ bei Attentaten, bei denen auch Christen ihr Leben eingesetzt hatten, in gottesdienstähnlichen Veranstaltungen auf dem Berg dankte: „Wir sind damit einverstanden, dass der Einfluss der Juden in unserm Vaterland in der kräftigsten Weise unterbunden wird. Denn wir glauben, dass das unter dem Fluch des Messiasmordes stehende Volk für die andern Völker der Erde ein Fluch ist.“ „Die Liebenzeller Mission war von Anfang an national eingestellt“, erklärte Ernst Buddeberg im Oktober 1940. Bei vaterländischen Anlässen wurde die Deutschlandhymne „Deutschland, Deutschland über alles“ und das Horst-Wessel-Lied im Missionshaussaal auch von den Schwestern gesungen. Viele traten zu den „Braunen Schwestern“ über, der NS-Schwesternschaft der Nationalsozialisten. Ambivalentes Verhältnis zum Judentum Wir finden bei Heinrich Coerper und Ernst Buddeberg letztlich einen religiös begründeten Antijudaismus mit Übergängen in den rassischen Antisemitismus, so der Kirchenhistoriker Bernd Brandl. Die Liebenzeller Mission trennte sich nicht nur von jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, man verweigerte auch anderen jüdischen, christlichen Ärzten in China aus biologisch-rassistischen Gründen die Mitarbeit. Ein Missionar zeigte die Liebenzeller Mission gar bei der Gestapo an, weil sogenannte „Nichtarier“ angestellt waren. „Das Vorgehen des Staates gegen Juden wurde aus Verblendung und aus vaterländischer Begeisterung weitgehend begrüßt“, so das Fazit von Bernd Brandl. Heinrich Coerpers Verhältnis zum Judentum war letztlich ambivalent, gespalten und widersprüchlich: auf der einen Seite finden sich Antijudaismus und Antisemitismus – dann aber auch positive Aussagen von ihm über das, „was Gott in Zukunft mit seinem Volk tun wird.“ Missionar Heinrich Witt (1871–1959), der damalige Leiter der Liebenzeller Mission in China, brachte am 12. Juni 1934 das Schweigen der Liebenzeller Mission zu den immer sichtbarer werdenden Verbrechen der Nationalsozialisten so auf den Punkt: „Es ist am besten, man hält sich im Hintergrund und drückt sich durch, so gut man kann, wie Jung-Stilling für die Zeit vor dem Auftreten des Antichristen empfiehlt.“ Es ging vor allem darum, das Werk durch die schwierigen Zeiten unbeschadet hindurch zu manövrieren, um eigenständig zu bleiben. Kein Eingeständnis von Fehlern Es finden sich im Archiv der Liebenzeller Mission keine Hinweise auf Gräueltaten des NS-Regimes. Nach dem Zweiten Weltkrieg vernahm man kein Wort der Reue und Buße darüber, auch kein Eingeständnis, nicht einmal eine Andeutung von Fehlern, so Helmut Egelkraut in seiner umfassenden Studie. Ernst Buddeberg hatte im Hinblick auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirchen vom 19. Oktober 1945 mit den Worten reagiert: „Ein solches Schuldbekenntnis kommt ja für uns nicht in Betracht.“ Claudius Schillinger „Wir sind erschrocken darüber, dass auch die Liebenzeller Mission der Verführung des NS-Regimes erlegen ist und es damit zu keinem klaren christlichen Bekenntnis und zu Versäumnissen im praktischen Handeln kam. Es ist bedrückend, dass man in Adolf Hitler den von Gott gesandten und bestätigten Führer sah und ihm gegenüber eine völlig unkritische Haltung einnahm … Wir sind entsetzt über die geistlich theologische Bewertung des jüdischen Volkes als „ein Fluch für die Völker“, der damit verbundenen Haltung und dem Unrecht und Schaden, den jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger erlitten. Wir bitten voller Scham um Entschuldigung für die öffentlichen Äußerungen der damaligen Leitung … Wir bitten um Vergebung dafür, dass die damalige Leitung Mitarbeiter angewiesen hat, zukünftig keine jüdischen Ärzte mehr aufzusuchen, und dass man sich in Einzelfällen von gläubigen christlichen Mitarbeitern jüdischer Abstammung distanzierte und ihnen nicht die Hilfe zuteil hat werden lassen, die der Liebe Christi gemäß gewesen wäre … Wir bedauern zutiefst, dass die Liebenzeller Mission aus Sorge um den Fortbestand der Arbeit und der Versorgung der Missionare geschwiegen hat, wo sie hätte ihre Stimme erheben müssen … Wir wollen aus den geschichtlichen Erfahrungen lernen und uns selbstkritisch fragen, wo wir heute in ähnlicher Weise in Gefahr stehen, dem Zeitgeist zu erliegen … Wir leben von seiner Barmherzigkeit und Vergebung. Deshalb spielen wir uns nicht zum Richter unserer Vorgänger und Väter auf. Wir bitten aber alle, denen wir oder unsere Vorgänger in der Verantwortung für das Werk der Liebenzeller Mission die notwendige Hilfe und Unterstützung versagt haben, die unter politischen Druck gesetzt worden oder zu Schaden gekommen sind, um Vergebung.“ www.liebenzell.org/files/epaper/ stellungnahme_komitee/fb/ Beim Pfingstmissionsfest 2015 hingegen bekannte die Leitung der Liebenzeller Mission nach einer jahrelangen Recherche öffentlich: 15 Start im Monbachtal O Die Liebenzeller Mission übernimmt vom „Christlichen Verein für Jugendwohlfahrt“ das Monbachtal mit der neuen Bezeichnung „Freizeit- und Bibelheim Monbachtal“. Herzlich willkommen, Bruder Wang! O Die Adressverwaltung auf dem Missionsberg wird von Karteikarten auf EDV umgestellt. Der erste Computer auf dem Missionsberg wird scherzhaft „Bruder Wang“ genannt. Start in Sambia O Beginn der Missionsarbeit in Sambia. In den 80er-Jahren wächst die Anzahl der Missionsländer deutlich, besonders in Afrika. Heute gehört Sambia zu den Ländern mit den meisten Liebenzeller Missionaren. 1975 1981 1985
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