Stuttgarter Gottesdienst- und Gemeindestudie

öffentlicht. Trotz aller Relativierungen in einer weltweiten Perspektive oder vor dem Hintergrund eines weiten Religionsbegriffs in der Tradition eines Thomas Luckmann1 sind deswegen komplexe und empirisch ausgearbeitete Säkularisierungstheorien wie insbesondere das herausragende Werk von Detlef Pollack und Gergely Rosta: »Religion in der Moderne«,2 von enormer Bedeutung zur Deutung der religiösen Situation der Gegenwart. Welche Tabelle auch immer man im Abschnitt über Westdeutschland betrachtet: es geht bergab. Besonders eindrucksvoll ist die Übersicht über die Weitergabe der Konfession von einer Generation zur nächsten zwischen 1991 und 2018.3 Während in Westdeutschland 1991 nur 6% der katholisch und 11% der evangelisch Erzogenen konfessionslos wurden, waren dies 2018 bereits 14% bzw. 23%. Die einzige wachsende »Konfession« ist die der Konfessionslosen. Und für Ostdeutschland gilt ohnehin: »Säkularisiert wie kein anderes Land der Welt«4. Ende 2021 sind nur noch unter 50% der Bevölkerung Deutschlands den beiden großen Kirchen angehörig – ein epochaler Einschnitt! Ein Ende des Rückgangs ist nicht zu erwarten. Entsprechende Analysen – in eins mit einem defensiven Verhalten der großen Kirchen – mögen ihn sogar verstärken. Dennoch: So plausibel diese Analysen auch sind, so wenig befriedigen sie diejenigen, die wissen wollen, was denn genau vor Ort – »in« den Menschen – geschieht. Nach wie vor ist Deutschland von einem dichten Netz von Kirchengemeinden überzogen, in denen nicht zuletzt jede Woche Gottesdienste gefeiert werden. Schläft hier einfach alles ein? Die Kirche wird sich doch auch gegen den Niedergang wehren! Und noch weniger werden jene einfach zustimmen, denen der christliche Glaube am Herzen liegt und die deswegen immer wieder auch neue Formen des Religiösen und Hotspots christlichen Glaubens entdecken – was dem generellen Trend zwar nicht widersprechen muss, aber alles dennoch komplexer werden lässt. So werden z. B. die besondere Attraktivität von Migrantengemeinden entdeckt oder hochreligiöse junge Menschen5, so sehr sie eine kleine Minderheit sind, in den Blick genommen. Erstaunlich resilient erweist sich die Kirchenmusik Szene. Und was ehrenamtliche Mitarbeit in der Kirche anbetrifft, so ist es gelungen, sie in den letzten Jahren beträchtlich zu steigern. Die Diakonie boomt und expandiert überall. Ganz so einheitlich ist das Bild folglich nicht – ganz abgesehen von den regionalen Unterschieden zwischen Norden und Süden – Osten und Westen des Landes. Die hier zur Rede stehende Region in Württemberg – Schwaben war immer religiös wesentlich aktiver als der Norden und international schon lange weltweit unterwegs.6 1 Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion, Frankfurt a. M. 72014. 2 Detlef Pollack/Gergely Rosta: Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt a. M. 22022. 3 A. a. O., 161. 4 A. a. O., 307. 5 Tobias Faix/Tobias Künkler: Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche, Neukirchen – Vluyn 2018. 6 Vgl. dazu nur jüngst die faszinierende Studie über deutsche Missionare in Westafrika im 19. Jahrhundert aus dieser Region von Paul Glen Grant: Healing and Power in 10 Geleitwort

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzg4OTA=